Der Finanzexperte Werner Doralt geht mit dem österreichischen Steuersystem hart ins Gericht: Viele der Vorschriften seien überholt, der Widerstand gegen wichtige Reformen sei ungebrochen.

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Standard: Die Bank Austria hat diese Woche ihre Bilanzen präsentiert und für 2009 einen Gewinn von 1,1 Milliarden Euro gemeldet. Die Bank wird in Österreich keinen Cent Körperschaftssteuer zahlen. Ist das fair?

Doralt: Zunächst muss geklärt werden, warum die Bank keine Körperschaftssteuer zahlt. Welche Begünstigungen hat sie in Anspruch genommen? Da bin ich überfragt. Wenn es aber so ist, dass die Bank die Vorteile der Gruppenbesteuerung ausnutzt, also insbesondere, dass sie Verluste ausländischer Tochtergesellschaften mit ihren Gewinnen im Inland gegenrechnet, haben wir einen Bereich angesprochen, der dringend überdacht werden muss.

Standard: Die Arbeiterkammer hat bereits einen Vorstoß in diese Richtung gestartet. Aber wie viel verliert der Staat durch die Gruppenbesteuerung? Es kursieren Zahlen zwischen 60 und 700 Millionen.

Doralt: Das kann alles sein, und genau das ist das Problem: Wir wissen gar nicht, was sich da abspielt. Ich glaube, die Steuerbehörden haben nicht einmal ein statistisches Material, das ihnen zeigt was wir verlieren. Ohne dass die Zahlen auf dem Tisch liegen, können wir nicht vernünftig darüber reden, welche Begünstigungen gerechtfertigt sind.

Standard: Warum wird diese Wissenslücke nicht geschlossen?

Doralt: Weil man das System damit der Kritik entzieht. Wenn es keine Unterlagen gibt, kann die Opposition nicht nachfragen.

Standard: Eine wichtige Funktion von Steuern ist die Umverteilung in der Gesellschaft. Erfüllt das österreichische System diese Aufgabe?

Doralt: Das österreichische System erfüllt diese Aufgabe schon deswegen nicht, weil wir mit dem Stiftungswesen eine Umdrehung der progressiven Steuerlast haben: Normalerweise sollte jemand umso mehr Steuern zahlen, je mehr er verdient. Durch die Stiftungsbegünstigung ist das anders. Wenn jemand viel verdient, bringt er sein Vermögen in die Stiftung ein, wofür er aber weniger zahlt.

Standard: Ein Gegenargument lautet, dass durch höhere Steuer Jobs verlorengehen würden.

Doralt: Wir kennen ja alle die vielen Meldungen, wie viele hunderttausende Arbeitsplätze wir den österreichischen Stiftungen zu verdanken haben, was blanker Unsinn ist. Was mich aber ärgert ist, dass genau jene Leute, die vor Jobabbau warnen, im selben Atemzug bestreiten, dass Stiftungen steuerlich privilegiert sind. Das geht nicht zusammen.

Standard: Also sind Sie für höhere Stiftungssteuern?

Doralt: Ja. Wobei wieder klare Berechnungen fehlen: Wie hoch sind die Steuerbegünstigungen? Wie viel Verlust nehmen wir in Kauf? Wir wissen in Österreich ja nicht einmal, wie viel Vermögen in den einzelnen Stiftungen gelagert ist. Wieder so ein Fall, wo es keine Statistiken gibt.

Standard: Als ein Kernproblem in Österreich gilt auch die Grundsteuer: Die Bewertung von Grundstücken ist seit Jahrzehnten unverändert.

Doralt: Man macht Österreich zu Recht den Vorwurf, dass wir eine der niedrigsten Vermögensbesteuerungen in Europa haben. Ein Beispiel, das ich unlängst aus der Wiener Innenstadt gehört habe:Da gibt es einen Miteigentümer eines Grundstücks mit 1,5 Millionen Euro Verkehrswert. Für die Grundsteuer wird sein Anteil aber mit 11.000 Euro bewertet. Das ist ein Witz.

Standard: Die Grundsteuer gehört also dringend angepasst?

Doralt: Ja. Es ist völlig unverständlich, wieso die vor einigen Monaten begonnene Debatte wieder eingeschlafen ist. Das Problem ist aber nicht nur, dass seit Jahrzehnten keine neue Grundstücksbewertung vorgenommen wurde. Die ermittelten Werte wurden auch nie der Inflation angepasst, wodurch die Grundsteuer im Vergleich zu anderen Abgaben massiv an Bedeutung verloren hat.

Standard: Warum fällt in dem Bereich eine Reform so schwer?

Doralt: Weil jede Partei Grundeigentümer als Klientel hat. Es gibt Angst vor Mieterhöhungen, Mehrkosten für Landwirte.

Standard: Ganz ein anderes Thema: Waren Sie schon einmal in Ouagadougou?

Doralt: Erstens war ich noch nie in Ouagadougou, und zweitens weiß ich nicht, warum Sie das fragen.

Standard: Der frühere deutsche Finanzminister Peer Steinbrück hat Österreich, die Schweiz und Ouagadougou, die Hauptstadt Burkina Fasos, in einem Atemzug als Steueroasen genannt.

Doralt: Bis vor kurzem war der Vorwurf, Österreich sei eine Steueroase, nicht unberechtigt. Derzeit ist die Entwicklung aber im Fluss: Österreich hat mehrere Abkommen über Informationsaustausch mit anderen Ländern unterzeichnet. Entscheidend wird sein, wie die Abkommen umgesetzt werden. Bekommen die ausländischen Behörden wirklich ihre Informationen? Für ein Urteil ist es noch zu früh.

Standard: Im Streit um die Schweizer Steuer-CD hieß es aus Berlin, das Bankgeheimnis sei im 21. Jahrhundert überholt. Stimmt das?

Doralt: Ich glaube ja. Insbesondere innerhalb der EU. Es kann ja nicht sein, dass wir in einer europäischen Gemeinschaft leben und ein Staat hat ein besonders strenges Bankgeheimnis, wodurch er für steuerflüchtige Bürger anderer Staaten zum Fluchtort wird. (András Szigetvari, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21.3.2010)