Historisch Bewanderte wissen, dass der Zölibat ein Finanzproblem war, das die katholische Kirche nicht weiter lösen wollte (die vielen unehelichen Kinder der Priester) und erst viel später auf die Paulus-Auslegung zurück gegriffen wurde.

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Das Stück von Händl Klaus "Furcht und Zittern" beginnt mit einer Szene - sie heißt "Vorspiel" - zwischen Musiklehrer (Manfred Horni) und Schüler. Immer näher rückt der Lehrer dem Jungen indem er ihn dazu bringt, seine Stimme mit dem Körper zu füllen und den Körper stimmlich werden zu lassen. "Tiefer" fordert er ihn auf und der Junge antwortet "tiefer" -
KIND Singen wir.
MANFRED Folge meiner Hand, die sich auf den Atem legt,
KIND heiß,
MANFRED dem Atem hinterdrein. Ganze Lieder löst du,
KIND aus.
MANFRED Schau,
KIND ich ströme,
MANFRED auch.
KIND Dir gefällt es.
MANFRED Aus, und ein,
KIND und ein,
.......
MANFRED So entsteht Gesang aus dir,
KIND von unten her,
MANFRED mein Kind. Du mußt ganz hinab.
KIND Bin denn ich dein Kind, Herr Horni,
MANFRED doch,
KIND wenn du,
MANFRED es willst,
KIND für,
MANFRED die Stunden unter uns, am Klavier, mein junger Mann. Ein,
KIND verstanden." (Das Stück hat im Mai in Innsbruck Premiere)

Es gibt keine physische Berührung zwischen den Beiden aber selbst beim Lesen entsteht - im besten Fall - das Gefühl des Zweifels, ob dies "richtig" sei, diese Nähe, diese Hingabe des Jungen an den Erwerb der Fähigkeiten und des Lehrers an die Lust des Knaben, zu lernen. Händl beginnt sein Stück mit dem was als "pädagogischer Eros" in die geflügelten Worte Eingang fand und dort dem Zeitgeist hilflos ausgeliefert wurde.

Die platonische Bedeutung hatte ein pädagogisches Dilemma zur Grundlage gemacht - und mit dem pädagogischen Eros eine Lösung vorgetragen - das bis heute alle Pädagogik auszeichnet: Was muss eine Pädagogik leisten wenn das Kind niemals freiwillig in die Freiheit, die Autonomie, in den Bürgerstatus, in die Selbständigkeit gehen will? Der pädagogische Eros setzt auf die Verführung des Kindes, eine Verführung, die ausdrücklich die "fleischlichen Freuden" auslässt, indem das Kind zunächst verführt wird, ein Vertrauen in die pädagogische Person zu gewinnen, dann der Verführung ins Lernen nachgibt und eigene Freude darin entdeckt, von der der Pädagoge sich seinerseits verführen lässt und mit Lust weitere pädagogische Verfahren einsetzt; bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Kind den Inhalt von der Person zu trennen vermag und die Selbstbildung in die eigene Hände nehmen kann. 

Unter regulären Bedingungen in unserer Zeit ist ein solches Verfahren schon zeitlich nicht möglich und manche mögen sagen, auch finanziell nicht. An die Stelle der langsamen Selbst-Überzeugungsarbeit wurde Unterrichtung. Das Dilemma jedoch bleibt und hat 1902 z.B. den französischen Soziologen Emile Durkheim bewogen, systematisch darüber nachzudenken, wie die Freiwilligkeit Disziplin, Moral und schulische Kompetenzen zu erwerben, erhöht werden kann. Er schlug letztlich das vor, was wir heute "Verinnerlichung" nennen. Der Lehrer gibt dem Kind die Möglichkeit lustvoll eine Fähigkeit zu entdecken, die positiv sanktioniert wird, und "vergisst" dabei, dass diese Fähigkeit zuvor Pflicht und Zwang war. Es wird autonom durch Vergessen und indem es annimmt, es habe selbst beschlossen können zu wollen, was es können sollte. In der sogenannten Reformpädagogik ist diese Modell in vielen Varianten anzutreffen.

In der Pädagogik wiederholen sich - dramatisiert - die wichtigen Fragen jedweder Menschwerdung in der Moderne. Und eine öffentliche Debatte darum täte Not, weil der Pädagogik, der elterlichen genauso wie der institutionellen, immer mehr zugemutet wird, was sie "lösen" und "können" soll.

Aber diese "Mißbrauchsenthüllungen" wirken auch sonst magnetisch auf sehr unterschiedliche "Probleme" und "Interessen". Kirchliche Einrichtungen und säkulare Internate, autoritäre und reformpädagogische Erziehungsmodelle, Pädophilie und Sadismus, Zurichtung und aufrechter Gang - nichts ist ordentlich in Schubladen und mit Alltagsverstand einzufassen. Auf welche Über-und Unterordnungsverhältnisse verweisen diese "Enthüllungen", die ja zumeist hinter Mauern und verschließbaren Türen stattfinden.

"Zeitgeist der 68er"

Bischof Mixa hatte da schon eine Idee, er verwies auf den "Zeitgeist der 68er", der falsche - sexuelle - Liberalisierung propagiert hätte. Wenn ich außer Acht lasse, dass Mixa sexuelle Gewalt mit Sexualität vermengt (und das ist angesichts der offiziellen Sexualpolitik des Vatikans nachvollziehbar, wenn auch bedauerlicherweise nicht informiert) ist der Hinweis auf vorhandene gesellschaftliche Strukturen verfolgenswert. 

Es gibt zwei zentrale patriarchalische Strategien, die Frauen im Status des zweiten Geschlechts einzementieren (sollen): Infantilisierung und Paternalismus. Die Infantilisierungsstrategien sind übrigens feministisch sehr gut historisch aufgearbeitet, sie reichen von der Einsperrung ins bürgerliche Haus, über "Schutzmaßnahmen" in der Erwerbsarbeit über Sitten und Gebräuche und lassen auch weniger Lohn für gleiche Arbeit und das verfügbare Weib allüberall nicht aus. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Vernunft und Fürsorge auseinanderdividierte und für jedes ein Geschlecht beauftragte zehrt bis heute an den Aufstiegschancen von Frauen, da sie z.B. immer noch "weiblich" beim Führen aussehen sollen.

Wenn Infantilisierung in die heterosexuelle Kultur eingegossen wurde und zum sexuellen Begehren dazu gehört, wenn also ein Mann der Unterlegenheit einer Frau bedarf und sie gern zu ihm aufsehen möchte, wenn alle sexuellen Bilder weiterhin von Nehmen und Genommen werden, Führen und Geführt werden leben - wenn also die Heterosexualität selbst im Namen einer Hierarchie, die ohne oben und unten ohne Geschlechterverteilung nicht auskommt den Übergriff am Weibe vorsieht mit dem vieles entscheidenden Unterschied, dass diesem Weib das Recht des Ja und Nein Sagens gegeben wurde (in der Ehe noch nicht sehr lang) - was bedeutet dies für eine "verwahrloste Männlichkeit", die noch lernte von einem Geführt-Werden-Wollen sexuell erregt zu werden und die lernte, dass (hetero)sexuell zu sein bedeutet, der anderen Seite ein Wollen zu unterstellen (ein Gattungswollen sozusagen) und deshalb nicht zuhören muss? In der heterosexuellen Ordnung galt als Grundlegung, dass der Mann die Frau verführen müsse, zu dem was er will. Als sexuelle Befreiung wird seit dreißig Jahren begrüßt, dass die Verführung nicht mehr aufwendig sei, da "die Frau" das Wollen des Mannes begriffen habe. Als Bedrohung derselben "Liberalisierung" wird die überanstrengende Frau kritisiert. Das ist jene, die auch noch ein eigenes Wollen mit einbringt.

Der Psychoanalytiker und Sexualwissenschaftler Josef Aigner hat das Problem so formuliert: "Der Zölibat ist der Auswuchs der Verteufelung des Leibes und der Verteufelung der Frau, also wiederum ein Teil des Problems. Wenn halbe Kinder zu einem zölibatären Leben gezwungen werden, bleiben sie in ihrer sexuellen Entwicklung auf einer kindlichen Stufe stecken und greifen dann auf ihresgleichen zurück." (Tiroler Tageszeitung vom 16.3.10)

Wegen einem Finanzproblem

Historisch Bewanderte wissen, dass der Zölibat ein Finanzproblem war, das die katholische Kirche nicht weiter lösen wollte (die vielen unehelichen Kinder der Priester) und erst viel später auf die Paulus-Auslegung zurück gegriffen wurde. Interessanter aber ist, dass die aktuellen Männlichkeitskonstruktionen immer noch auf zwei Dimensionen zurückgreifen müssen: die Ernährerfunktion, die gerade auf der Tagesordnung der Geschichte steht, da der neoliberale Kapitalismus den Familienlohn abschafft und dies einher geht mit der massenhaften Höherqualifizierung von Frauen und zum anderen, die homophobe Unterstellung, ein Mann sei erst durch den heterosexuellen Geschlechtsverkehr ein Mann (Zölibat). Das meint kaum, dass ein Mann erst durch eine Frau zum Mann wird, sondern, dass dies eine Eingliederung in eine sexuelle männliche Ordnung ist, in der wiederum die Frau "ge-/be-nutzt wird" um etwas - das nicht sie selbst betrifft - zu beweisen. Ich finde das amüsant ohne dass es das realiter wäre, da eine defensive Männlichkeit in der Geschichte selten freundlich re/agierte. Schon Horkheimer formulierte in den 60er Jahren, dass die sexuelle Spannung zwischen den Geschlechtern bei vollkommener Egalität sterben werde. Hellsichtig daran ist, dass unser ca. 220 Jahre altes Sexualitätskonzept die Idee der Gleichheit nicht nur nicht kennt, sondern verneint.

Vielleicht steht nicht nur die Pädagogik vor einer großen Diskussion. Vielleicht können und müssen wir die Heterosexualität mitdiskutieren, die immer noch beibringt, dass "sein Wille geschehe". (Kornelia Hauser, dieStandard.at, 19.3.2010)