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Acht Opfer von Missbrauch und Misshandlungen haben sich inzwischen bei der Sängerknabenhotline im Augartenpalais gemeldet.

Foto: Reuters/Prammer

Wien - "Übergriffe, gleich welcher Art, stellen ein Unrecht dar, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen und wollen": So beginnt die Stellungnahme der Wiener Sängerknaben zu den im Standard von Exchormitgliedern vorgebrachten Missbrauchs- und Misshandlungsvorwürfen. In dem Statement wird als Ziel "die Aufklärung etwaiger Fälle, Gerechtigkeit und Hilfe für die Betroffenen und das Verhindern zukünftiger Übergriffe" genannt.

Bei der vergangenen Freitag eingerichteten Hotline haben sich in der Zwischenzeit acht Exsängerknaben gemeldet. "Die Männer sind alle älter als 40 Jahre, haben ihre Sängerknabenzeit also Anfang der 80er-Jahre oder früher erlebt", sagt Hotlineverantwortliche Tina Breckwoldt. Laut der Sängerknabenarchivarin, die jetzt als Ansprechperson fungiert, sollen die Kontaktnummer (Tel.: 01/216 39 42-45) und die Kontakt-E-Mail-Adresse (saengerknaben_hotline@live.at) noch mehrere Wochen aktiv bleiben: "Jeder Menschen hat ein anderes Tempo, wenn er sich an solche Ereignisse erinnert", meint Breckwoldt.

Auch beim Standard hat sich ein weiteres ehemaliges Sängerknabenmitglied mit Erinnerungen an zweideutige, "voyeuristische" Ausfragerituale durch Erzieher ("Präfekten") sowie an "kadettenschulenhafte Härte gegen Kinder ab neun Jahren" gemeldet. Der heute 40-jährige Pädagoge in Wien (Name der Redaktion bekannt) sang Anfang der 80er-Jahre im österreichischen Vorzeigechor.

So habe auf Busfahrten während der vielen Tourneen ("Wir waren pro Jahr drei Monate unterwegs") der Präfekt die hintersten beiden Sitzreihen in Beschlag gelegt. Die Schüler seien einzeln zu ihm gerufen - "und wegen allfälliger sexueller Betätigung minutiös ausgehorcht worden", schildert der Mann. Das sei "extrem peinlich" und "Ausdruck eines Spitzelwesens" gewesen - zumal es "durchaus Paarbildungen gegeben" habe.

Der Mangel an Privatsphäre wiederum - und der "für Kinder schwer aushaltbare Druck, rund um die Uhr mit damals nur eineinhalb Tagen Wochenendpause weg von zu Hause zu sein" - habe zu "extremen Hänseleien unter den Schülern" geführt. Die Schulleitung habe "so gut wie nie eingegriffen", schildert der Mann.

"Andauernd beleidigt"

Als er ein Jahr bei den Sängerknaben war, schrieb er in sein Tagebuch: "Ich kann es nicht länger dulden, dass ich andauernd beleidigt werde." Bevor er mit 14 Jahren den Chor verließ, beschrieb er diesen als "KZ Augarten".

Auch Exschüler anderer Internate haben dem STANDARD in den vergangenen Tagen von schwarzer Pädagogik und schweren Übergriffen erzählt. Zum Beispiel Walter Neugebauer (61), der von 1960 bis 1964 im inzwischen geschlossenen Bundeskonvikt Lienz - einem staatlichen Internat mit starkem katholischen Einschlag - lebte: "Es war ein Terrorregime, Kindern wurde von Erziehern mit der Faust das Gesicht blutiggeschlagen, sie wurden an den Ohren aufgehoben, sodass ihnen das Blut am Hals herunterlief." Exkonviktdirektor Alois Kofler, auf diese Vorwürfe hin befragt, hat "niemals Beschwerden vernommen". (Irene Brickner/DER STANDARD-Printausgabe, 17.3.2010)