Mehr als eine Geste: Umay (Sibel Kekilli) untersteht tatsächlich dem Gesetz des Vaters.

F.: Filmladen

Wien - Umay ist ihrem Ehemann aus Deutschland in die Türkei gefolgt. Aus seinen gewalttätigen Übergriffen zieht sie eines Tages Konsequenzen. Sie fährt heimlich samt Sohn nach Berlin, zieht wieder bei den Eltern und Geschwistern ein. Sie könnte arbeiten, ihre Ausbildung abschließen, ein normales, großstädtisches Leben führen. Aber die alten Traditionen, nach denen die Männer die Frauen im Namen der Ehre unterwerfen, holen Umay ein, und zwar ausgerechnet dort, wo sie am wenigsten damit rechnet: in ihrer eigenen Familie.

Schrittweise Zuspitzung

Die aus Wien stammende Schauspielerin und Regisseurin Feo Aladag spitzt diese Geschichte allmählich zu und lässt sie eskalieren. Der Fokus ihres Spielfilmdebüts liegt auf Umay. Aber Die Fremde will neben der Bekräftigung ihres Handelns auch noch die Positionen aller anderen in die Situation Involvierten zeigen: den Standpunkt des Vaters, der sich gegenüber anderen Vätern als würdig erweisen muss und zugleich nur das sprichwörtlich Beste für sein Kind will, und den der Mutter, die sich loyal zu Ehemann und Frauengebetsrunde verhält, sich aber auch nicht völlig von ihrer Tochter abgrenzen kann.

Die kleine Schwester will und kann ihre eigenen Entscheidungen nicht zugunsten Umays relativieren. Der ältere Bruder ist der klassische Migrationsverlierer, der seine soziale und ökonomische Kaltstellung mit Machohabitus kompensiert (und am Ende nicht einmal das richtig hinbekommt). Der jüngere versucht sich der traditionellen Männerrolle zu entziehen, kommt damit aber nicht weit.

Jede dieser Figuren wird durch einen Konflikt beschrieben, der autonomes Agieren unmöglich macht. Die Differenz, die Umay in diesem Rahmen setzt und lebt, ihre "Fremdheit" , liegt genau darin, dass sie unabhängige Entscheidung trifft. Das Auffächern dieser komplexen Verhältnisse bleibt allerdings ein wenig schief. Die Differenz, die der Film zwischen Umay und den anderen Personen einzieht, besteht nämlich auch darin, dass sie nicht ausschließlich als Tochter beschrieben wird.

Im Verhältnis dazu tauchen die restlichen Familienmitglieder vor allem als funktionale Träger der beschriebenen Konflikte auf. Der Film gibt ihnen wenig Raum, sich als Figuren zu profilieren. Der Verlauf und die dramatische Zuspitzung des Geschehens scheinen so - trotz des intensiven Spiels - zunehmend weniger einer inneren Entwicklung als dem Drehbuch und dem aufklärerischen Anliegen des Films geschuldet.

Dabei ist die Inszenierung von Die Fremde weitgehend ruhig und tendenziell großformatig angelegt. Erst gegen Ende wird dann doch dick aufgetragen - wenn im emotionsgeladenen Finale punktgenau auch der Himmel zu weinen beginnt. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 17. 3. 2010)