Mitterlehner: "Wir passen die Ausbildung laufend an neue Trends an und richten immer wieder neue Lehrberufe ein."

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derStandard.at: Herr Minister, die Hälfte der Mädchen entscheidet sich immer noch für die Lehrberufe Einzelhandelskauffrau, Friseurin oder Bürokauffrau. Wie reagieren Sie darauf?

Reinhold Mitterlehner: Mit viel Informationsarbeit, gezielten Förderungen und speziellen Coachings. Bei den Burschen haben wir es bereits geschafft, eine Streuung auf viele verschiedene Lehrberufe zu erreichen. Es gibt dort keinen Beruf mehr, dessen Anteil im zweistelligen Prozentbereich liegt, nicht einmal der des KFZ-Mechanikers. Bei den Mädchen ist es leider immer noch so, dass drei Berufe das Wunschspektrum zu 50 Prozent abdecken. Daher weiten wir in anderen Feldern spezielle Förderungen für Mädchen aus, damit das breite Angebot der Lehrberufe besser ausgenutzt wird.

derStandard.at: Ist zumindest ein Trend in die andere Richtung erkennbar?

Mitterlehner: Ja, in repräsentativen technischen Lehrberufen wie Elektroinstallationstechnik, Mechatronik oder Metalltechnik ist der Anteil von jungen Frauen gestiegen. Ich würde mir hier aber noch eine deutlich stärkere Zunahme wünschen. Daher ist im Rahmen der "Lehrlingsförderung Neu" ein Projekttopf mit fünf Millionen Euro reserviert, mit dem spezielle Coachings sowie Projekte von Unternehmen in technischen Lehrberufen unterstützt werden. Dazu gehören beispielsweise Schnupperkurse oder ein "Tag der offenen Tür" speziell für Mädchen.

derStandard.at: Wie zielführend ist es, auf Jugendliche bezüglich der Berufswahl Einfluss zu nehmen - erzeugt man so nicht eher Widerstand?

Mitterlehner: Wir schreiben hier nichts vor, sondern wollen in erster Linie durch die Qualität des Angebots überzeugen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssen sich die Jugendlichen möglichst früh und sehr genau über die rund 250 Lehrberufe informieren, um einen Abgleich der eigenen Interessen und Talente mit den gebotenen Möglichkeiten zu machen.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt für Lehrlinge?

Mitterlehner: Die Maßnahmen der Bundesregierung wirken und haben die Folgen der Wirtschaftskrise auf den Lehrlings-Arbeitsmarkt so weit wie möglich abgefedert. Dank der Ausbildungsgarantie muss kein Jugendlicher auf der Straße stehen. Wenn jemand keinen betrieblichen Ausbildungsplatz bekommt, kann er auf eine Stelle in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte zählen. Mit Erfolg: Mit Ende Jänner 2010 konnte der Stand an Lehrlingen in Ausbildung bei 130.255 Personen fast auf dem Rekordniveau des Jahres 2008 gehalten werden.

derStandard.at: Besonders im Industriebereich ist der Rückgang von angebotenen Lehrstellen mit 25 Prozent deutlich. Wie wollen Sie Unternehmen dazu bringen, doch Lehrstellen anzubieten?

Mitterlehner: Es wurde beispielsweise die Lehrlingsförderung erhöht und mit neuen Schwerpunkten ergänzt. Für alle Lehrberufe geben wir heuer 210 Millionen Euro an Förderungen aus, was inklusive der Maßnahmen des Arbeitsmarktservice rund 350 Millionen Euro ergibt. Wir wollen die Unternehmen dazu bringen, dass sie ihre Ausbildungskapazitäten in der Krise nicht reduzieren, sondern ausbauen. Denn die Fachkräfte-Ausbildung ist neben Forschung und Entwicklung die wichtigste Ressource, die sich Betriebe aufbauen können. Für den nächsten Aufschwung brauchen wir wieder mehr Facharbeiter. Um das stärker bewusst zu machen, hat das Wirtschaftsministerium unter anderem den "Pakt für Lehrlinge" mit inzwischen über 1.200 teilnehmenden Unternehmen abgeschlossen. Allein diese Initiative sichert fast 22.000 Ausbildungsplätze.

derStandard.at: Wie wollen Sie das Image der Lehre verbessern?

Mitterlehner: Wir passen die Ausbildung laufend an neue Trends an und richten immer wieder neue Lehrberufe ein. Ab dem Herbst 2010 greift ein großes Lehrberufspaket, das die drei neuen Modul-Lehrberufe Elektrotechnik, Bekleidungsgestaltung und Glasbautechnik etabliert. Außerdem setzen wir verstärkt auf das Modell "Lehre mit Matura", das zahlreiche neue Karrierewege eröffnet. Klar ist auch: Da die Betriebe in den kommenden Jahren mit geburtenschwachen Jahrgängen konfrontiert sein werden, bietet gerade die Lehre beste Zukunftschancen. Die Lehrlinge von heute sind die Facharbeiter von morgen. Wenn weiterhin 40 Prozent eines Jahrgangs eine Lehre machen, stehen aufgrund der demographischen Entwicklung bis 2015 fast 5.000 Lehrlinge weniger zur Verfügung.

derStandard.at: Es kommen immer wieder Klagen von Unternehmen, das Lehrlinge etwa in Grundrechnungsarten so schlecht sind, dass sie für eine Lehre nicht geeignet scheinen. Wer ist daran schuld - Das Schulsystem? Lehrer? Die Schüler selber?

Mitterlehner: Um dieses Problem zu lösen, braucht es in erster Linie eine Weiterentwicklung des Bildungssystems. Allerdings können kurzfristig nicht alle Probleme auf die Schule abgeschoben werden. Daher fördern wir über die Lehrlingsförderung auch systematisch Kurse und Maßnahmen für lernschwächere Jugendliche, was gut angenommen wird.

derStandard.at: Seit einiger Zeit können Lehrlinge gekündigt werden. Wie stark wurde diese Möglichkeit von Unternehmern in Anspruch genommen?

Mitterlehner: Das hält sich bisher in engen Grenzen: Seit 2008 können Lehrverhältnisse auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes - allerdings nur zum Ende des ersten oder zweiten Lehrjahres und nach einem Mediationsverfahren - aufgelöst werden. Auf Grund dieser Regelung wurden im Vorjahr lediglich 40 Lehrverhältnisse auf Initiative des Unternehmens aufgelöst. (derStandard.at, 16.3.2010)