Spagat zwischen Kioto und Dublin: Musikforscher Stephan Micus.

Foto: ECM

Wien - Erst letzten Sommer konnte er sich einen alten Traum erfüllen. Sechs Wochen lang reiste Stephan Micus von St. Petersburg aus quer durch Sibirien, bis nach Ulan-Bator: "Ich habe das Glück, dass das Reisen eine meiner Leidenschaften ist. Musiker sind ja von Haus aus teilweise Nomaden, ob sie wollen oder nicht", sagt er. Nomade ist ein Begriff, der für Micus wohl in besonderem Maße zutrifft: In Bewegung war und ist der heute 57-jährige, auf Mallorca lebende Musiker seit gut 40 Jahren.

Schon als Teenager brach er, der seine Kindheit im bayrischen Isartal nahe München verlebte, auf, um Kontinente zu bereisen und vor Ort aus erster Hand Instrumente zu studieren. Woher dieser Trieb in die Ferne? Micus: "Mein Vater war Maler, er ist Ende der 1960er-Jahre nach Ibiza ausgewandert. Das war damals noch ein toller Platz mit interessanten Menschen. Zudem habe ich schon mit 14 regelmäßig Granada besucht, um dort Flamenco-Gitarre zu lernen. Dann, als ich mit der Schule fertig war, kamen die ersten Platten von Ravi Shankar heraus, es gab Konzerte mit traditioneller japanischer Musik in München. Das hat mich stark beeinflusst im Entschluss, nicht in Europa auf Schulen oder Unis zu gehen."

Micus studierte u. a. Sitar in Benares, die traditionelle japanische Bambusflöte Shakuhachi in Kioto, Dudelsack in Irland, die westafrikanische Doussn'gouni-Harfe in Bamako - um aus den so gewonnenen Klängen auf Archaic Concerts (1976) oder - für ECM - auf Implosions und Koan (1977) erstmals seine eigene musikalische Welt zusammenzubauen:

"Es ist für das Publikum von geringem Interesse, wenn man als Deutscher auf der Bühne Sitar spielt - es sei denn, man bringt etwas Neues ein. Und das habe ich versucht. Ich habe einerseits die Instrumente selbst weiterentwickelt, umgebaut oder anders gestimmt. Andererseits hat es mich immer fasziniert, Instrumente aus unterschiedlichen Kulturen zusammenzuführen - etwa eine bayrische Zither mit einer japanischen Bambusflöte."

Angetrieben von der "Vision, die Erde als Ganzes zu begreifen anstatt als Puzzle aus konkurrierenden Teilen", ist Stephan Micus um Vernetzung musikalischer Kulturen bemüht. Und erweist sich dabei als "Weltmusiker" vom alten Schlag - was wenig mit dem von Micus als "chauvinistisch" kritisierten Schlagwort "World Music" zu tun hat. Ob es für ihn heute noch unerforschte Flecken auf der musikalischen Landkarte gibt?

"Es wird immer schwieriger. Zum einen, weil ich allerhand gemacht habe, zum anderen, weil vieles aus der Welt verschwunden ist. Es ist in vielen Ländern so, dass die junge Generation sich nicht für die Tradition interessiert", so Micus, der der europäischen Musikkultur viel Positives abgewinnt: "Ein Grund, warum die europäische Kultur erfolgreich dasteht: Wir haben zum einen Leute, die einen Bach originalgetreu wiedergeben, zum anderen solche, die Radiergummis zwischen Klaviersaiten stecken." (Andreas Felber/ DER STANDARD, Printausgabe, 11.3.2010)