Jugend ohne Hoffnung? Mit Graffiti an Häuserwänden wird ein Lebensgefühl demonstriert.

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Wissenschafter vom Zentrum für soziale Innovation entwickelten spielerische Möglichkeiten, um Jugendliche in die Normalität zurückzuführen. Und statteten sie mit Kamera-Handy und Internet-Plattform aus.

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Mirko ist 17 und Analphabet. Die Schule hat er abgebrochen, im Berufsleben hat er deshalb keine Chance. Seine Eltern sind während der Jugoslawien-Kriege in die Stadt gekommen und leben seither in einer Wohnung in einem Randbezirk. Kein Sportplatz in der Nähe, kein Kino, kein Lokal, in das man mit 17 gehen könnte. Freunde hat der frustrierte jugendliche Österreicher nur wenige. Geld zum Ausgehen gibt es ohnehin keines. Der Vater ist arbeitslos. Die Familie kann viele Kosten des täglichen Lebens nicht mehr begleichen und steht vor der Delogierung.

Mirko ist ein "marginalisierter Jugendlicher", wie Sozialwissenschafter es ausdrücken. Ein kalter, aber zutreffender Ausdruck für eine Gruppe von Menschen am Rand der Gesellschaft, die unter anderem aus finanziellen Gründen Gefahr laufen, ins Abseits zu geraten. "Aber sie sitzen noch nicht auf der Straße, haben keine Drogenprobleme und sind daher auch erreichbar", wie Elisabeth Unterfrauner vom Zentrum für soziale Innovation (ZSI) in Wien erzählt. Sie seien "at risk", sozial völlig ausgeschlossen zu werden, also eine Risikogruppe.

Seit Anfang Februar sind insgesamt 98 Jugendliche mit diesem Hintergrund auf einer Internet- Plattform namens ComeIn vernetzt: 24 kommen aus Wien, 24 aus der Steiermark und 48 aus unterschiedlichen Regionen Großbritanniens. Neben dem ZSI, wo das pädagogische Konzept entwickelt wurde, und Sozialwissenschaftern aus England sind auch Forscher und Techniker aus Spanien, Israel, Italien und Deutschland an diesem Projekt im Rahmen des siebenten EU-Forschungsrahmenprogramms beteiligt.

Jede Testperson hat ein Handy erhalten und soll wöchentliche Fragen mithilfe von Videos beantworten, die sie mit dem Mobiltelefon dreht und auf die Plattform lädt. Wo wohne ich? Wie lebe ich? Welche Hobbys habe ich? Mit der visuellen Antwort werden natürlich genau jene Dinge, die den Jugendlichen fehlen, offenbart. Die Teilnehmer können schließlich über die Filme diskutieren und einander Mitteilungen schicken.

Die Plattform hat Moderatoren, Sozialarbeiter, die eine entscheidende Aufgabe übernehmen: Sie entscheiden, welche Files auf ComeIn dürfen und welche nicht. Dabei zeigen die Testpersonen nämlich große Unsicherheiten, obwohl die Plattform von Außenstehenden nicht benutzt werden kann.

"ComeIn ist ein Mittelding aus Facebook und Youtube, nur auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten", sagt Unterfrauner, die das Projekt leitet. Die visuelle Ausdrucksform habe man gewählt, weil sich die meisten marginalisierten Jugendlichen "mit geschriebener und gesprochener Sprache sehr schwertun".

Schon nach wenigen Wochen kann Unterfrauner eine überraschende Zwischenbilanz ziehen. "Gerade diejenigen, von denen wir es nach einem Welcome-Workshop gar nicht angenommen haben, sind auf der Plattform besonders aktiv und verwenden sie sogar wie ein Tagebuch." Andere, scheinbar aktivere Teilnehmer würden sich eher zurückhalten.

Abschluss mit Zertifikat

Die Jugendlichen dürfen das Handy im Rahmen eines "großzügigen Limits" (Unterfrauner) auch für ihre privaten Zwecke benützen und danach behalten - die Kosten müssen dann freilich selbst übernommen werden. Am Ende des Projekts erhalten sie Zertifikate, um die Projektteilnahme zu bestätigen. "Wir hoffen, dass das bei einer eventuellen Jobsuche hilft. Schaden kann es sicher nicht."

In jedem Fall sollten die Teilnehmer einige Hinweise für einen besseren Zugang zur Gesellschaft mitbekommen. Absolventen sollten dann auch ein besseres Gefühl dafür haben, "wie sie sich in ein Arbeitsumfeld integrieren könnten". Ein hehres Ziel im derzeit laufenden Europäischen Jahr zur Bekämpfung der Armut (Wissen).

ComeIn läuft noch bis zum August 2010. Eine Fortsetzung mit den Mitteln des siebenten EU-Forschungsrahmenprogramms scheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, weil es die entsprechenden Förderschienen auf EU-Ebene dann nicht mehr geben wird. Das ZSI wird sich daher um Geld aus österreichischen Fördertöpfen bemühen.

Die für Ende April erwarteten ersten wissenschaftlichen Ergebnisse? "Weitere Antworten auf die Frage: Wie kann ich Randgruppen mit Formen des mobilen Lernens integrieren?", erläutert Ilse Marschalek, Mitarbeiterin am Wiener ZSI.

In der Bundeshauptstadt, sagt die Wissenschafterin, seien mehr als die Hälfte der "marginalisierten Jugendlichen" Migranten. Ihr Bildungslevel sei besonders niedrig, ihre Förderung in den Schulen katastrophal. "Nicht selten sitzen sie in Sonderschulen." Eventuelle Sprachbarrieren würden dadurch nur noch größer.

Mirko ist trotz aller Schwierigkeiten, die er im Alltag hat, einer der aktivsten Teilnehmer am Projekt. Er und andere Jugendliche haben auch zaghaften Kontakt mit den britischen Community-Mitgliedern aufgenommen. Das ist schon weit mehr, als die Wissenschafterinnen des Zentrums für soziale Innovation erwartet haben. (Peter Illetschko /DER STANDARD, Printausgabe, 10.03.2010)