Regisseur Stefan Herheim sorgt auch in Oslo mit Wagners "Tannhäuser" für produktive szenische Dynamik.

Foto:

Die Operndiva aus Bronze auf dem Vorplatz, Kirsten Flagstad also, scheint immer noch zu staunen über die neue Oper in Oslo. Der 500 Millionen Euro teure Bau liegt wie eine verkantete Eisscholle am Fjord, gleich neben dem Bahnhof, und hat ihre bisher größten Schlagzeilen vor zwei Jahren dem gewagten Dekolleté der deutschen Kanzlerin zu verdanken. Ansonsten gab es für das knapp 1400 Plätze bietende Haus die unvermeidlichen Startschwierigkeiten im Opernnachwuchsland Norwegen.

Hier reichert das Publikum auch schon mal eine Tannhäuser-Aufführung mit Szenenapplaus an. Wobei: Im jüngsten Fall ist dies kein Wunder, denn Stefan Herheim und Ausstatterin Heike Scheele haben dem Haus nun seine eigentliche Feuertaufe verpasst. Zudem hat der gegenwärtig berühmteste Opern-Norweger diesen Sängerkrieg für seine Heimatstadt (nach einem schon einmal in Linz erprobten Ansatz) so maßgeschneidert, dass die Oper selbst und Oslo darin zu Ehren kommen.

Pseudoreligiöse Sanftmut

Und mit einem Theaterzauber à la Herheim ohnegleichen! Scheinbar das gesamte Personal des gängigen Opernrepertoires drängelt sich da am Anfang auf der Bühne. Damit vor allem nämlich versucht Frau Venus ihrem Heinrich, von einer Loge aus, zu imponieren. Wenn der sich dann aber doch losreißt und der ganze Fundus-Plunder in der Versenkung verschwindet, findet er sich in einer Osloer Straßenszene zwischen Pennern und Heilsarmee wieder, zu der auch er und Elisabeth gehören.

Die stürmt denn auch in die Zentrale ihrer Truppe, wo Elisabeth Strids ausgesprochen tonschön aufblühender Gruß an die teure Halle zum Weckruf für die dort nächtigenden Unbehausten wird. Der ziemlich vereinsmeiernde Sängerwettstreit artet dann beim Stichwort Venusberg plötzlich aus. Da legen berufsmäßige Gutmenschen mit ihren Uniformjacken auch ihre pseudoreligiöse Sanftmut ab und machen sich, wie die übelsten Populisten, über den abtrünnigen Tannhäuser her. Es ist einer der stärksten Momente und von erheblicher Fallhöhe, weil direkt ans Publikum adressiert. In dieser existenziellen Bedrängnis ist Rom für Tannhäuser ein nachvollziehbarer Fluchtweg.

Wenn er von dort zurückkommt, sitzt Elisabeth immer noch, irre geworden, in den Trümmern der auseinander geflogenen Heilsarmeewelt und hat einen Bühnenabgang als Theater-Maria. Doch auch den Triumph, den die wieder auftauchende, entfesselte Welt der Oper am Ende noch einmal feiert, indem sie den Sänger in eine Minnesängerkluft steckt und sterbend integriert, bricht Herheim durch die falschen Operngesten des gesamten Personals, über die nur der zu Einsicht gekommene Wolfram schier verzweifelt. Der Scheintriumph auf der Bühne wird in Wahrheit, also im Saal, dank Herheim, aber dann doch ein echter!

Christian Badea und sein Orchester lassen keinen Zweifel an der vorzüglichen Hausakustik, auch wenn sie Glück haben, dass der Bühnenzauber von mancher Klanggrobheit ablenkt. Das Ensemble erreicht nicht überall das exzellente Niveau der Elisabeth, aber Gary Lehmanns Heinrich hat Kondition und kein Problem mit der Romerzählung; Judit Némeths Venus verströmt auch stimmliche Sinnlichkeit, Geert Smits nutzt seine Wolfram-Vorlagen. Auch die übrige Sänger und der Chor schlagen sich wacker. Oslo ist in Opern-Europa angekommen! (Joachim Lange aus Oslo, DER STANDARD/Printausgabe, 09.03.2010)