Wenn Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, am 12. März im Vatikan mit Papst Benedikt XVI. zusammentrifft, gibt es mit Sicherheit einiges zu besprechen. Immer deutlicher wird, dass die Missbrauchsfälle an katholischen Einrichtungen in Deutschland keine Ausnahmen waren, sondern offenbar System. Mittlerweile sind bereits 18 von 27 Bistümern betroffen.
Eine Woche lang hat sich Thomas Pfister mit Missbrauchsfällen im bayerischen Kloster Ettal beschäftigt. Der Münchner Strafverteidiger war von der Leitung des Benediktinerklosters als Sonderermittler eingesetzt worden und legte seinen Bericht am Freitag vor. Sein Fazit: Im Kloster, zu dem ein Internat und ein Gymnasium gehören, herrschte in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren ein "Terrorregime". In mehr als einhundert E-Mails berichteten ehemalige Schüler davon, in "sexueller, psychischer und physischer Hinsicht misshandelt" worden zu sein. "Körperliche Übergriffe waren an der Tagesordnung, manche Patres waren sadistisch veranlagt", zitiert der Sonderermittler aus E-Mails.
"Wären die Vergehen nicht verjährt, hätten sie mehrjährige Haftstrafen zur Folge gehabt", sagt Pfister. Er weist aber auch darauf hin, dass die Vorfälle, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, nicht den heutigen Zustand des Klosters beschreiben: "Man darf sich das heutige Kloster nicht als Gemeinschaft prügelnder und missbrauchender Klosterbrüder vorstellen." Allerdings: Ein paar Vorfälle datieren aus den Neunzigerjahren - darunter auch jener, der den Stein im Kloster Ettal überhaupt ins Rollen gebracht hat.
Ein Klostermitglied hatte gestanden, Kinderpornos aus dem Internet heruntergeladen zu haben. Außerdem hat der Mann in den Jahren 2000 und 2001 Fotos halbnackter Schüler auf eine Internetseite für Homosexuelle gestellt. Die Buben hatte er bei einem Wanderausflug mit nacktem Oberkörper fotografiert. In dieser Woche war es deswegen zu einer Razzia im Kloster gekommen, dabei wurde der Rechner des Mannes beschlagnahmt. Möglich gewesen seien all die Fälle durch eine "systematisch praktizierte Kultur des Wegschauens und Verschweigens" im Kloster, erklärt Sonderermittler Pfister.
Papst-Bruder ahnungslos
Auch bei den Regensburger Domspatzen, dem ältesten Knabenchor Deutschlands, hat es zwischen 1958 und 1973 Missbrauch gegeben. Zwei leitende Geistliche, die beide 1984 verstarben, sollen wegen "unsittlicher Handlungen" auch zu Haftstrafen verurteilt worden sein. Die Diözese schließt aber nicht aus, dass es weitere Täter gibt, die noch im Dienst sind. Sie hat eine Kommission eingesetzt, die auch Hinweise auf schwere Misshandlungen in der früheren Domspatzen-Vorschule prüfen soll. Georg Ratzinger, der Bruder des Papstes, der in der fraglichen Zeit Leiter der Domspatzen war, erklärte, er habe von den Vorfällen nichts gewusst. In den Niederlanden sind dutzende neue Missbrauchsfälle in einem Internat des Salesianerordens bekannt geworden, die meisten liegen 50 Jahre zurück. Vorabdruck von Wolfgang Bergmanns Roman "Die kleinere Sünde". (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.3.2010)