Weltweit ist rund ein Viertel der Männer beschnitten, in Österreich sind es rund zehn Prozent.

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Was für die einen ein kleiner Schnitt ist, der mit Tradition, Krankheitsprävention und Hygiene zu tun hat, ist für die anderen eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit: die männliche Beschneidung. Kritisch wird dabei vor allem gesehen, dass die Beschneidung bei Säuglingen oder Buben durchgeführt wird, die nicht selbst darüber entscheiden können, was mit ihrem Körper geschieht.

Tradition, Religion, Hygiene

Unter Beschneidung versteht man die vollständige oder teilweise Entfernung der Vorhaut. Die vorherrschende Form ist die Zirkumzision, bei der die männliche Vorhaut ringförmig entfernt wird. Sie stellt den weltweit am häufigsten durchgeführten chirurgischen Eingriff dar und wird je nach Tradition oder Religion in unterschiedlichem Alter vorgenommen: Im Judentum wird traditionell am achten Tag nach der Geburt beschnitten, Muslime zwischen dem dritten Lebensjahr und der Pubertät. In vielen Ländern, großteils englischsprachigen, wie den USA, Kanada, Australien oder Neuseeland wird die Vorhaut hauptsächlich als Krankheitsvorbeugung entfernt. In den 1970er Jahre wurden in den USA aus diesem Grund fast 90 Prozent der männlichen Neugeborenen beschnitten, seither ist ein rückläufiger Trend zu beobachten, der Prozentsatz liegt derzeit bei rund 60.

Weltweit ist rund ein Viertel der Männer beschnitten, in Österreich wird bei durchschnittlich jedem zehnten Kind bzw. Mann - meist aus medizinischer Notwendigkeit - eine Beschneidung durchgeführt.

Eine Notwendigkeit?

Medizinisch indiziert ist eine Beschneidung im Falle einer manifesten Phimose (Vorhautverengung) und Paraphimose. Wenn die Vorhaut gar nicht oder nur unter Schmerzen über die Eichel zurückgeschoben werden kann, spricht man von einer Vorhautverengung. Eine Paraphimose entsteht, wenn eine zu enge Vorhaut gewaltsam hinter die Eichel zurückgestreift wird und zur Einklemmung dieser führt. Doch selbst bei Vorliegen einer Phimose kann vielen Betroffenen eine Vorhautentfernung erspart bleiben. "Bei einer Phimose wird immer auch zuerst die konservative Therapie mittels steroidhaltigen Salben angeboten. Ein Großteil nimmt dieses Angebot vor einem chirurgischen Eingriff in Anspruch und rund 40 Prozent der Patienten kommen ohne Operation aus. Es gibt aber Ausgangspositionen, wo die Salbentherapie keinen Sinn macht. Zusätzlich werden auch Vorhaut-erhaltende Eingriffe angeboten", erklärt Marcus Riccabona, Leiter der Abteilung für Kinderurologie im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz.

In den ersten drei Lebensjahren werde eine Phimose, mit Ausnahme der symptomatischen oder einer zusätzlichen Fehlbildung des Harntraktes, nicht therapiert, denn eine physiologische Säuglings-Phimose verschwindet meist von selbst in den ersten Jahren.

Auch rezidivierende Harnwegsinfektionen oder lokale Vorhautentzündungen können den chirurgischen Eingriff nötig machen. "Ist keine Vorhaut mehr vorhanden, nimmt die Häufigkeit von Harnwegsinfekten um rund ein Zehntel ab - vor allem im Säuglings- und Kindesalter", so der Kinderurologe.

Krankheitsprävention

In Zusammenhang mit der Zirkumzision rückt auch die einfachere Hygiene und damit verbunden die Prävention von Krankheiten in den Mittelpunkt. In Ländern, die einen hohen Anteil an beschnittenen Männern aufweisen, die nicht aufgrund Religion oder Kultur beschnitten sind, ist dies meist aus vorbeugenden medizinischen Gründen der Fall.

Die Entfernung der Vorhaut soll das Risiko für verschiedene Karzinome, Geschlechtskrankheiten und Infektionen wie HIV und HPV senken. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des AIDS-Programms der Vereinten Nationen (UNAIDS) handelt es sich um eine wichtige Maßnahme, um das Risiko der heterosexuellen Übertragung des HI-Virus zu senken. Die Beschneidung senke zwar laut Studien aus Kenia und Uganda das Infektionsrisiko um rund die Hälfte, eine Ansteckung generell verhindert sie aber nicht. Jedes Präservativ bietet eine deutlich größere Sicherheit. Die WHO-Empfehlung sei daher als "zusätzliches Mittel" im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit AIDS vor allem für Länder mit einer hohen heterosexuellen Übertragungsrate und einem geringen Anteil beschnittener Männer zu sehen. "Im europäischen Raum hat die Beschneidung als Schutz vor HIV bei weitem nicht den Stellenwert wie in einigen Ländern Afrikas. Bei uns sehe ich den Schutz vor HPV weitaus dringlicher", so Riccabona und verweist auf Studien, wonach beschnittene Männer sich deutlich seltener mit dem humanen Papillomvirus (HPV) infizieren, das unter anderem Genitalwarzen und Peniskrebs verursachen könne. Folglich senke eine Entfernung der Vorhaut auch das Risiko, dass Männer deren Partnerinnen mit dem Virus anzustecken, der Gebärmutterhalskrebs auslösen kann.

Unbeschnittene Vorteile

Ob die Vorhaut Funktionen erfüllt, die zum wesentlichen Vorteil für Unbeschnittene werden, ist unklar. Die Vorhaut bietet jedenfalls einen Schutz für die Eichel vor Verletzungen, Reibung, Austrocknung und Verhornung. Die Drüsen im inneren Vorhautblatt bilden ein natürliches Gleitöl und halten die Eichel glatt und geschmeidig. Diese schützende Vorhautschmiere, Smegma genannt, kann aber bei mangelnder Intimhygiene zu einer starken Vermehrung von Krankheitserregern führen und somit den Schutz in ein Risiko verwandeln. "Die Vorhaut bietet einen gewissen mechanischen Schutz, aber es ist auch so, dass sich für Betroffene nichts Wesentliches ändert, wenn die Vorhaut weg ist - vor allem in Bezug auf die Sexualität", erklärt Riccabona.

Faktum ist, dass eine prophylaktische Beschneidung oder eine Wunschzirkumzision einen medizinisch nicht indizierten chirurgischen Eingriff darstellt, der - wenn auch selten - das Risiko für Komplikationen und Spätfolgen birgt.

Wunschzirkumzision

Ob eine Beschneidung außerhalb der medizinischen Notwendigkeit durchgeführt wird, liege im Ermessen des Arztes bzw. der medizinischen Einrichtung. "Die Wunschzirkumzision wird bei uns mitangeboten und erfolgt meist aus traditionellen oder religiösen Gründen", so der Kinderurologe. Die Operation werde gehandhabt wie ein Eingriff in der plastischen Chirurgie: Die Kosten werden nicht von den Krankenkassen getragen, sondern von den Patienten selbst. "Es ist mir ein Anliegen, dass auch eine Wunschzirkumzision ordentlich und nach hygienischen Maßstäben abläuft. Verbietet man sie, wird sie dennoch praktiziert - aber in Hinterhöfen, unter Umständen mit Komplikationen, Blutungen oder unter mangelnder Hygiene", betont Riccabona.

Aber auch wenn die Zirkumzision gehandhabt wird wie Eingriffe in der ästhetischen Chirurgie, unterscheiden sich die Operationen in einem Punkt: der Durchführung an nicht einwilligungsfähigen Säuglingen und Kindern. Bleibt also die Frage ob eine medizinisch nicht notwendige Operation an einem nicht zustimmenden Patienten durchgeführt werden darf oder soll. (derStandard.at, 07.03.2010)