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Auf Plakaten - hier eines in Najaf - wird den irakischen Wählern der Wahlzettel von Sonntag erklärt.

Foto: AP/Alaa al-Marjani

Auf den ersten Blick gleicht nichts mehr der politischen Landschaft, die sich den irakischen Wählern und Wählerinnen 2005 präsentierte: Damals, als im Jänner ein Übergangsparlament und im Dezember ein reguläres Parlament gewählt wurden, gab es zwar auch schon viele verschiedene Parteien - heute sind es fast 300 -, sie alle gehörten jedoch mit minimalen Überschneidungen zu jeweils einem Block: schiitisch, sunnitisch, kurdisch oder säkular.

Und das ist auch gleich die beste Nachricht von den irakischen Parlamentswahlen, zu denen am 7. März 17 Millionen Iraker und Irakerinnen aufgerufen sind: Die konfessionellen/ethnischen Blöcke sind zwar nicht völlig zerfallen, die Überschneidungen der unterschiedlichen Gruppen der irakischen Gesellschaft werden unter dem Titel eines irakischen Nationalismus und der irakischen Einheit jedoch immer größer.

Am erstaunlichsten ist in dieser Beziehung wohl die Liste "Einheit" des Innenministers Jawad Bolani: Der Schiit ist eine Allianz mit sunnitischen Stämmen eingegangen, die erst 2007 mit US-Geld von ihrer Allianz mit Al-Kaida losgekauft wurden. Nicht zu vergessen, dass das Innenministerium jener Ort war, in dem schiitische Milizen ein und ausgingen, die im Bürgerkrieg 2006/2007 Sunniten umbrachten.

Komplexer ist die Sache schon mit dem schiitischen Premier Nuri al-Maliki. Er tritt mit einer Liste an, die sich den "Rechtsstaat" auf die Fahnen geheftet hat: Da musste schon viel Wasser Euphrat und Tigris hinunterfließen, dass die älteste schiitisch-religiöse Partei des Irak, die Dawa, nicht mehr gemeinsam mit den anderen etablierten schiitischen Parteien antritt. Maliki hat sich profiliert, indem er 2008 gegen schiitische Banden im Süden des Landes vorging, das hat ihm das Vertrauen auch vieler Sunniten gebracht.

Auf seiner Liste stehen demnach auch Sunniten, dennoch tut man sich mit der Einordnung als "gemischte" Liste nicht ganz leicht: Vor allem zieht Maliki nämlich alleine in die Wahlschlacht, weil er innerhalb des schiitischen Bündnisses nicht automatisch die Führerschaft für seine Dawa - und damit den Posten des Premiers für sich - beanspruchen könnte. Maliki war 2006 ein reiner Kompromisspremier. Heute ist er ein ausgeprägter Machtpolitiker.

Soziale Abgründe

Im schiitischen Bündnis Ina (Irakische Nationale Allianz) sind nun zwei bittere Rivalen zusammengebunden, zwischen denen die Dawa früher als Brücke gedient hat: die bürgerliche schiitische Mittelstandspartei "Höchster Islamischer Rat" und Muktada al-Sadrs proletarische Schiitenbewegung. Wenn es um "politische" Kriterien ginge, könnten sie nur schwerlich eine Allianz eingehen.

Eine Hauptmerkmal der Parlamentswahlen von Dezember 2005 war die Schwäche der Säkularen: Nach den Erfahrungen eines konfessionell geprägten Bürgerkriegs wollen - so sagen es zumindest Umfragen - viele Iraker und Irakerinnen nichts mehr von religiösen Affiliationen wissen. Das gibt der säkularen Liste Iraqiya von Iyad Allawi, dem Interimspremier von 2004, neue Chancen. Auch religiöse Sunniten haben sich ihm angeschlossen, was die rein sunnitische Liste "Tawafuq" schwächt.

Allawis Block wurde jedoch vom von der "Rechenschafts- und Gerechtigkeitskommission" verordneten Kahlschlag unter Kandidaten am meisten getroffen, denen allzu große Nähe zur Baath-Partei von Saddam Hussein nachgesagt wurde. 511 Kandidaten sperrte die Kommission, nur ein Teil von ihnen wurde nach einer Berufung wieder zugelassen.

Wobei man bei den sehr schlechten Nachrichten zu den Parlamentswahlen 2010 im Irak wäre: Die Diskussion um die Kandidaten-Sperre hat offenbart, dass die tiefe Spaltung der irakischen Gesellschaft keinesfalls überwunden ist. Ein Teil der Iraker und Irakerinnen fürchtet nicht nur die schleichende Rückkehr von Altbaathisten in die Politik, sie hat sogar Angst vor einem Putsch - der vom sunnitischen Ausland, namentlich Saudi-Arabien, gewünscht und unterstützt würde.

Teheran gegen Riad

Diesem Sektor der irakischen Gesellschaft steht jener gegenüber, der Bagdad längst von Teheran aus regiert sieht. Dazu gehören nicht nur Sunniten, sondern auch die Säkularen. Für sie war die Sperre der Kandidaten ein klarer Versuch Malikis und der anderen Schiiten - die tatsächlich die zuständige Kommission dominieren -, potenzielle Gegner schon vor den Wahlen auszuschalten.

Was die Sektoren eint, ist jedoch die Furcht, dass, ähnlich wie 2006, die Regierungsbildung so schwierig wird und so lange dauert, dass ein politisches Vakuum entsteht: Dann könnten sich wieder jene Kräfte in Bewegung setzen, die auf Gewalt im Machtkampf setzen. In der Vorwahlzeit stieg der Gewaltpegel ständig an, gestern, Mittwoch, starben bei einem Attentat in Bakuba 33 Menschen. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2010)