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"Für ein sowjetisches Österreich": Transparent aus den Tagen der Februarkämpfe 1934. - Von einer Diktatur in die andere?

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Josef Gerl: Ein Sozialdemokrat als "Nazi-Sympathisant"?

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Die sozialdemokratischen Februarkämpfer sollen rehabilitiert werden. Die Nazis nicht. Das fordert Kurt Bauer in seinem Kommentar. In beiden Punkten ist ihm zuzustimmen. Nicht exkulpiert werden sollen seiner Einschätzung nach auch jene, die "mit der NS-Ideologie vielleicht nur in Berührung kamen". Wen meint er damit? Bauer nennt als Beispiel den einundzwanzigjährigen Josef Gerl, einen Aktivisten der sozialistischen Arbeiterjugend.

Gerl verübte am 20. Juli 1934 gemeinsam mit Rudolf Anzböck einen Sprengstoffanschlag auf eine Signalanlage der Donauuferbahn. Die Detonation führte zu Sachbeschädigung. Er widersetzte sich seiner Festnahme, indem er einen Polizisten niederschoss. Der Terrorakt passte nicht zur sozialdemokratischen Taktik und erinnerte an die nazistischen Bombenattentate. Vor dem Standgericht sagte Josef Gerl zudem aus, die Nationalsozialisten stünden ihm näher als die Regierung. Ja, er sympathisiere schon mit den Nazis.

Diese Worte werden zitiert, um nachzuweisen, dass Gerl "mit der NS-Ideologie in Berührung gekommen" war? Selten wird erwähnt, in welchem Kontext seine Worte fielen. Der Richter hielt - so das Verhandlungsprotokoll - Gerl vor, dass er "als Grund für seine Handlungsweise bei der Polizei angegeben hatte, dass er dadurch die Aussöhnung zwischen Regierung und Nationalsozialisten verhindern wollte". Der Anschlag sollte, so Gerl im Verhör unmittelbar nach seiner Festnahme - zum Nutzen der Sozialdemokratie -, den Nazis angelastet werden. Womöglich markierte Gerl bloß den Nazi. Wer entscheidet, was vor einem Standgericht ein Bekenntnis, was Irreführung, was Schutzbehauptung war?

Bis zu seinem Prozess war Gerl nicht eben als Freund des Nationalsozialismus aufgefallen. 1932 hatte er gemeinsam mit anderen einen Nazi an seinem Hakenkreuzabzeichen erkannt und zusammengeschlagen. Er war deshalb mit einem Monat schweren Kerker bedacht worden.

1934 wurden Josef Gerl und sein Mittäter Rudolf Anzböck zum Tode verurteilt. Anzböcks Richtspruch wurde auf lebenslänglich abgeändert. Nachdem Gerls Komplize im Februar 1938 begnadigt wurde, ging er in die USA. Nicht eben das typische Verhalten eines Nazikumpans. Übrigens: Vor dem Anschlag hatten die beiden Freunde beschlossen, sogleich nach der Tat auszuwandern. Und zwar in die Tschechoslowakei, nicht "heim ins Reich".

Engelbert Dollfuß verschloss sich allen Gnadengesuchen für Josef Gerl. "Wir können Gott danken, dass es ein Roter und kein Nazi war, gegen den wir das Gesetz anwenden mussten", sagte der Bundeskanzler kurz nach der Hinrichtung. Einen Tag nach diesen Worten schossen die Nazis Engelbert Dollfuß nieder und ließen ihn verbluten.

Wäre es nicht absurd, Gerl, der damals nicht begnadigt wurde, weil er ein Linker war, nun nicht rehabilitieren zu wollen, weil er "vielleicht" ein Nazi gewesen sein könnte? Immerhin beteuerte sein politisches Umfeld, das nur aus unverbrüchlichen Sozialisten bestand, er sei nie zum Nationalsozialismus umgeschwenkt.

Wer bestimmt, ob einer "vielleicht mit der NS-Ideologie in Berührung" kam? Kann es richtig sein, sich an die Gesinnungsschnüffelei der Diktatur zu halten? Sollen die Zeugnisse seiner Mitstreiter weniger gelten als die Erkenntnisse im Standgericht?

Wer die nationalsozialistische Machtergreifung und den "Anschluss" vorbereitete, der mag gegen Dollfuß gekämpft haben, verdient es aber nicht, geehrt zu werden. Immerhin macht diese Gruppe, wie Bauer feststellt, die überwiegende Mehrheit der Häftlinge in den Lagern der Diktatur aus. Zunächst. Im Juliabkommen des Jahres 1936 verpflichtete sich die Regierung, die inhaftierten Nationalsozialisten zu amnestieren. 17.000 Illegale wurden damals freigelassen.

Es braucht keine ideologischen Mutmaßungen, um festzulegen, wer Nationalsozialist war. Walter Baier wies darauf hin. Das Verbotsgesetz regelt seit 1945, wer als Nazi registriert sein muss: Alle, die von 1933 bis 1945 einer NS-Organisation angehörten. Den Anhängern des "Dritten Reiches" gebührt keine Rehabilitierung.

Bauer stellt auch zur Diskussion, wie mit den Kommunisten zu verfahren ist. Nun: Die österreichischen Kommunisten wurden nie zu Massenmördern, betrieben keine Konzentrationslager und wollten nicht den Anschluss. Ganz im Gegenteil. Sie waren Mitbegründer der Zweiten Republik. Fatal wäre es zudem, nur lupenreine Demokraten als antifaschistische Widerstandskämpfer anzuerkennen. Dann könnte auch der Kampf von Kommunisten, von Monarchisten und von Austrofaschisten gegen Hitler nicht mehr geehrt werden. Dieser Widerstand ist aber nicht dadurch definiert, wofür, sondern wogegen diese Frauen und Männer ihr Leben riskierten. Darin liegt ihr Vermächtnis. Dafür verdienen sie Respekt und Empathie.

Wichtig ist, den historischen und politischen Kontext nicht aus den Augen zu verlieren. Viele schlossen sich erst 1934 nach der Zerschlagung der Demokratie und der parlamentarischen Linken den Kommunisten an. Nicht aus Begeisterung für Stalin, sondern in Auflehnung gegen die Austrofaschisten. Sie misstrauten der staatlichen Presse und ihren Berichten über Moskau. Sie verfügten über keine pluralistischen Medien. Wo hätten sie etwaige Kritik äußern sollen? In einem Kommentar der anderen? (Doron Rabinovici/DER STANDARD, Printausgabe, 03.03.2010)