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Sigmar Polke, Cornelius Kolig, Egon Schiele (von links): Wodurch unterscheidet sich unschuldige Nacktheit von berechnender Pornografie?

Fotos: Phillips de Pury, Kolig, Archiv

Im Jahr 1981 kam in Österreich ein Film heraus, der zwischen Kunst und Pornografie eine spekulative Mitte suchte: Egon Schiele - Exzesse von Herbert Vesely war wohl weder das eine noch das andere, zeigt aber sehr schön, wie schwer es ist, das eine von dem anderen zu trennen. Die Mädchenakte des österreichischen Malers hängen heute in Museen (Schiele selbst musste deshalb 24 Tage in den Karzer), der Film von Herbert Vesely aber gilt den Fans als gelungene Exploitation, soll heißen: als Schundfilm, der sich bei einer noblen Vorlage bedient.

Im 21. Jahrhundert ist das Schutzalter das entscheidende Kriterium geworden, an dem sich die Strafwürdigkeit von Pornografie bemisst: Auch das haben die Fans von Egon Schiele - Exzesse begriffen, die in diesem "künstlerischen" Film ein wenig Nacktheit entdecken, die im Ruch des Illegitimen steht; denn die Figur der Tatjana, die Karina Fallenstein damals spielte, ist 15 Jahre alt.

Das Beispiel zeigt, dass sich in den fast hundert Jahren, die vergangen sind, seit Schiele ins Gefängnis musste, nicht viel verändert hat. Schiele wurde der Verführung Minderjähriger bezichtigt, verurteilt wurde er schließlich wegen "unsittlicher" Zeichnungen. Heute können unbeaufsichtigte Halbwüchsige ohne Probleme an endlose Datenmengen mit pornografischem Material gelangen.

Das erlaubt die Frage, was da eigentlich passiert ist auf dem Wege einer Liberalisierung, die dazu geführt hat, dass vor dem Gesetz zwischen einer kommerziellen Pornoproduktion und einer künstlerischen Arbeit wie Paradies von Cornelius Kolig kein prinzipieller Unterschied besteht?

Das Stichwort Paradies weist schon in die richtige Richtung. Bis heute wird das Pornografische mit dem Verbotenen assoziiert. Das hat mit der langen Geschichte der Repression von Sexualität insgesamt zu tun - mit dem Sündenfall begann auch das Bewusstsein für eine Blöße, die zu bedecken war, und im Lauf der Jahrtausende entstand ein dichter Zusammenhang aus Verboten, Konventionen, Schicklichkeiten, in dem sich ein zunehmendes Misstrauen gegen die Triebe (und die damit verbundenen umstürzlerischen Energien) äußerte.

Erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass ein Historiker wie Robert Darnton die Jahre zwischen 1650 und 1800, vor allem in Frankreich, als das "Goldene Zeitalter der Pornographie" bezeichnen konnte. In Büchern wie Thérèse philosophe kommt eine sexuelle Freiheit zur Darstellung, die nicht nur von den Mächtigen des Ancien Régime, sondern auch von vielen Progressiven seither unmittelbar mit dem Volk, der klassenlosen Gesellschaft und der Aufhebung von Machtbeziehungen assoziiert wurde. Wie weit dieses subversiv pornografische von der unschuldigen Nacktheit des Paradieses entfernt war, beweist die Tatsache, dass die entsprechenden Bücher in der französischen Nationalbibliothek lange Zeit in einer Abteilung gelagert wurden, die "enfer" ("Hölle" ) hieß - dorthin kam alles, was die herrschende Ordnung gefährdete.

Von Beginn an gab es wertvolle und schnöde Pornografie, zwischen dem Marquis de Sade und vielen Zeitgenossen tat sich schon eine ähnliche Spannweite auf, wie sie im 20. Jahrhundert zwischen Künstlern wie Rudolf Schwarzkogler und Tracey Emin einerseits und dem endlosen Stellungswechsel in Pornos andererseits herrschte. Wenn Künstler heute noch unter Pornografie-Verdacht geraten, dann hat es fast immer mit einem Moment der Übertragung zu tun: Jemand nimmt etwa ein religiöses Motiv und profaniert es durch Betonung leiblicher Komponenten. Manchmal reicht eine ganz normale sinnliche Fantasie wie die, dass Jesus vielleicht doch inniger mit Frauen befreundet gewesen sein könnte, als es spätere Bibel-Interpretationen zuließen. So brachte Martin Scorsese mit The Last Temptation of Christ einst in Österreich den selbsternannten "Pornojäger" Martin Humer gegen sich auf.

Pornojäger sind in liberalen Gesellschaften in der Defensive; an dem grundlegenden Konflikt hat sich nichts geändert: Die Freiheit ist ein hoher Wert, doch wo und wie kann sich heute jene individuelle Autonomie entwickeln, die allein mit der Freiheit umgehen kann? Darauf gibt die Kunst immer noch die besten Antworten. (Bert Rebhandl, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 27./28.02.2010)