Plötzlich sind sie weg. Die fahnenschwenkenden Anhänger von Saddam Hussein mit ihren Sprechchören, die Milizen in den Sandsackburgen im Zentrum von Bagdad und auch die Minister mit ihren Ankündigungen eines vernichtenden Sieges über die US-Truppen. Unter dem Druck ihrer Angriffe geht das System Saddam am Mittwoch sichtbar in die Knie. Plünderungen in der irakischen Hauptstadt und Abrechnungen mit Repräsentanten des Regimes im Land sind klare Zeichen des nahenden Endes.

In dem Vakuum der zerfallenen Staatsmacht holen sich die Menschen aus Behörden und staatlichen Lagern, was sie gebrauchen und so viel sie tragen können. Gruppen von Männern und Frauen schleppen Möbel und andere Ausrüstung aus Behördenbüros. "Das Olympische Komitee, das Innenministerium, ein großes staatliches Einkaufszentrum werden ausgeräumt", berichtet ein irakischer Augenzeuge.

Auch vor den Luxusautos des Regimes wird nicht Halt gemacht. In Straßen der Innenstadt liegen auch Tote. Blutige Abrechnungen mit Vertretern des Regimes werden aus anderen Städten des Irak gemeldet.

Die amerikanischen Soldaten lassen die Plünderer in der Regel gewähren. Kanadische Journalisten beobachteten schon am Morgen nahe dem Flughafen, wie Menschen aus Lagerhäusern Möbel, Kühlschränke und Klimaanlagen schleppten. Die dort stationierten Amerikaner hätten sich nicht darum gekümmert.

Als dann aber ein Mob beginnt, den verlassenen Sitz der UN-Waffenkontrollmission im Irak (Unmovic) auszuräumen, geht es den Amerikanern nach Beobachtung der Reporter zu weit: Soldaten besetzen das Gebäude, in dem die kurz vor Kriegsausbruch eilig abgezogenen Waffeninspektoren wohl wertvolle Ausrüstungen zurückgelassen haben, und verscheuchen die Menge.

Minister weg

Die Realität auf den Straßen Bagdads straft den irakischen Informationsministers Said Al-Sahhaf, der seit Monaten wie ein Lautsprecher des Systems Erfolge verkündete, Lügen. Immer enger wollte er den Feind - allesamt Söldner, Gauner, Zwerge und Marionetten - eingekreist wissen. "Wir haben sie in ihren Panzern gefangen", sagte er noch am Tag vor dem offensichtlichen Zusammenbruch. Da kontrollierten die US-Truppen schon weite Teile des Innenstadt, vor allem aber den Präsidentenpalast und das Regierungsviertel. Am Mittwoch trat Al-Sahhaf dann nicht mehr öffentlich auf (siehe nebenstehenden Artikel).

Und irakische Soldaten treten nicht mehr zum großen Gegenangriff an. Der Widerstand ist sichtbar gering. Seit Dienstag ist es in Bagdad oft stundenlang ruhig. Nur vereinzelt sind dann Kriegsgeräusche zu hören. Gelegentlich ist eine Drohne am Himmel zu beobachten, die feindliche Ziele aufklären soll, so es diese noch gibt. Dann feuern US-Panzer hintereinander ein Dutzend Granaten ab.

Im überwiegend schiitischen Armenviertel Saddam City jubeln mehrere Hundert Menschen den US-Truppen zu. "Nie wieder Saddam" und "Wir lieben euch", skandiert die Menge.

Auch an anderen Stellen der Stadt begrüßten Einwohner die amerikanischen Soldaten und winkten ihnen zu. Einige Einwohner bewaffneten sich auch. Jugendliche von 15 oder 16 Jahren zogen mit Kalaschnikow-Gewehren durch die Straßen. Vereinzelt fielen Schüsse. Autofahrer und Fußgänger liefen in Panik davon.

Seit Dienstag blieben auch die irakischen Fernsehschirme dunkel und die Radiosender stumm. Die Amerikaner hätten die Sendeanlagen lahm gelegt, heißt es. Lediglich die regimegesteuerten Tageszeitungen erschienen noch am Mittwoch, als ob die Welt noch in Ordnung wäre. Das amtliche Regierungsorgan Al-Djumhuriya zeigt pflichtbewusst Saddam Hussein auf dem Titelblatt, darunter die langatmige Schlagzeile: "Der Irak wird siegen, mit der Hilfe Gottes, unserer weisen Führung und der Standhaftigkeit unseres großartigen Volkes."

Angeblich gingen die Blätter weg wie warme Semmeln. Bagdader vermuteten, dass viele sich die wohl letzte Ausgabe von regimetreuen Zeitungen als historisches Erinnerungsexemplar sichern wollten.

Viele Menschen erfüllt das Machtvakuum allerdings mit Besorgnis. Sie befürchten gewalttätige Ausschreitungen oder gar bürgerkriegsähnliche Zustände. Nach dreieinhalb Jahrzehnten einer grausamen Diktatur sind viele Rechnungen offen.

Aus Basra wurde berichtet, dass eine aufgebrachte Menge Parteilokale der bisher herrschenden Baath-Partei angegriffen habe. Außerdem hieß es, Iraker hätten dort Landsleute umgebracht. "Das ist ein gefährlicher Zustand", sorgte sich ein irakischer Journalist in Bagdad. "Die Amerikaner müssten jetzt auf Sendung gehen und die Menschen zur Besonnenheit aufrufen."

Araber, die aus anderen Ländern zum freiwilligen Kampf an der Seite des Regimes nach Bagdad gereist sind, haben sich offensichtlich auf die neue Lage eingestellt. "Gott ist groß" und "Unser Blut, unsere Seele, opfern wir für den Irak", skandierten sie noch am Dienstag vor dem Hotel Sheraton leidenschaftlich.

Am Mittwoch bleibt dann nur unsicheres Herumstehen. Die nächsten US-Panzer sind nur ein paar Minuten entfernt. Einer der zum Kampf Angereisten sagt: "Wir sind Gastarbeiter." (dpa/DER STANDARD, Printausgabe, 10.4.2003)