Das bisher höchste Gebäude Österreichs wird ab Mittwoch Geschichte sein - Der 265 Meter hohe Hauptsender auf dem Bisamberg wird in drei Tranchen gesprengt

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Foto: DER STANDARD/Andy Urban

Wien - "Solange etwas einfach da ist, kann man es oft gar nicht richtig schätzen", sagt Christine und zieht ihre türkise Winterjacke noch enger um sich. Sie komme mit ihrer Familie immer wieder auf den Bisamberg, um die Aussicht zu genießen und spazieren zu gehen, erzählt die blonde Niederösterreicherin. Doch dieses Mal sind die vier aus Großengersdorf auf die verschneite Höhe gekommen, um zu fotografieren.

Nicht die Stadt, die einem dort zu Füßen liegt, auch nicht die malerische Villa Magdalenenhof, vor der sie stehen. Die beiden Sender, von ihren mächtigen Spannseilen gehalten, werden noch aus den unterschiedlichsten Perspektiven fotografiert. So lange sie noch da sind. Denn heute, Mittwoch, werden die rot-weiß-roten-Masten, die schon längst nicht mehr in Betrieb sind, gesprengt.

Wohnen mit Senderblick

Hassan Sarsam braucht keinen weiten Weg auf sich zu nehmen, um noch einen letzten Blick auf die Sender zu werfen. Er muss dazu nur aus der Küche ins Wohnzimmer gehen. Der Wiener hat seit beinahe 25 Jahren die Villa Magdalenenhof gepachtet, das Jagdschlösschen und der kleine Park davor sind im Frühjahr und im Sommer als romantische Location für Hochzeiten und Geburtagsfeste beliebt.

In der kalten Jahreszeit haben die Sarsams ihren Teil des Bisambergs fast für sich alleine. Auch Reinhard Gerer hat sein neues Lokal vis-a-vis bereits winterfest gemacht. "Doch seit Tagen kommen unglaublich viele Leute herauf, um noch einmal Fotos zu machen", schildert der 49-Jährige.

Als Sarsam und seine Frau Elizabeth 1986 auf den Bisamberg gezogen sind, waren die beiden Mittelwellensender noch in Betrieb. Damals konnte es schon vorkommen, "dass man in der Dachrinne und sogar im Backrohr Radioempfang hat". Was er vermissen wird, wenn die Metallmasten endgültig gefallen sind? "Bei jedem Gewitter haben Blitze in die Sender eingeschlagen und sind dann die Spannungsseile entlang gehüpft - das war schon ein toller Anblick", erzählt Sarsam.

Wenig nostalgisch ist der Blick von Michael Weber auf die Anlage. "Industrieruine" nennt sie der Pressesprecher der Österreichischen Rundfunksender-Gesellschaft ORS. 1995 wurde der Sendebetrieb eingestellt, 1999 gab es ein kurzes Intermezzo, um im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens Informationssendungen in Richtung Süden zu senden.

Eine Sanierung der beiden Sendemasten wäre schlicht zu teuer gekommen. Alleine die Erneuerung der Spannseile aus Stahl hätte eine Million Euro gekostet. Daher hat man sich bei der ORS für die Sprengung entschieden. Wie viel die kostet? Genaue Zahlen kann Weber nicht nennen, aber sicher "nur einen Bruchteil der Sanierungskosten".

Um 12 Uhr soll der 120 Meter hohe kleinere Sender "wie ein Baum fallen". Drei Stunden später wird das bis dahin höchste Gebäude Österreichs, der 265 Meter hohe Hauptmast in drei Teilen gesprengt sein. "Es wird sicher weniger laut werden als ein Silvesterfeuerwerk", prophezeit Weber. Sprengstoff wird vergleichsweise wenig gebraucht. "Wir werden knapp 20 Kilo benötigen", erzählt Weber. Für Zuschauer wurden drei Viewing-Bereiche am Rand der Evakuierungszone eingerichtet.

Die Sarsams werden in der Früh ihre beiden Töchter ins Gymnasium nach Floridsdorf bringen, danach werden sie noch einmal kurz in ihr Haus zurück fahren, das sie so wie rund hundert andere Anrainer ab 10 Uhr räumen müssen.

Die Sprengung wollen sich Elizabeth und Hassan auf jeden Fall ansehen, vielleicht sogar filmen. Angst um ihre Villa Magdalenenhof haben sie keine. Und auch wenn es die Sender nicht mehr gibt, die Adresse wird noch immer Senderstraße 130 lauten. "Wir haben mit der Sprengfirma ausgemacht, dass wir ein Stück von der Spitze des kleinen Senders bekommen", erzählt Elizabeth. Der Teil soll später im Garten als Erinnerungsstück aufgestellt werden. Und dann werden die Sarsams so nahe am Sender wohnen, wie niemals zuvor. (Bettina Fernsebner-Kokert/DER STANDARD, Printausgabe, 24.2.2010)