Kein abstraktes Gemälde, sondern eine Simulation, wie das vom LHC gesuchte Higgs-Teilchen zerfallen würde. Kritiker fürchten, dass dabei auch "schwarze Minilöcher" entstehen könnten.

Foto: CERN/GAMMA

Nun hat ein US-Rechtsprofessor über dieses vermeintliche Risiko eine neue Debatte losgetreten.

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Als das europäische Kernforschungszentrum Cern 2008 die Inbetriebnahme seines Teilchenbeschleunigers LHC vorbereitete, herrschte plötzlich weltweite Aufregung. Statt von Superlativen wie der größten je gebauten Maschine schrieben die Zeitungen plötzlich vom Weltuntergang.

Der LHC könnte, so meinten Kritiker wie der deutsche Chaosforscher Otto Rössler, kleine schwarze Löcher erzeugen, die das Zeug hätten, die Erde "aufzufressen". Während der Boulevard fragte, ob Forscher die Erde in einem schwarzen Loch versenken, gaben die seriöseren Blätter Entwarnung: Schwarze Minilöcher, wenn es sie denn gäbe, seien ungefährlich, weil sie sofort zerfielen. Sie stützten sich dabei auf den Bericht der cerninternen Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Sicherheit des LHC, kurz LSAG.

Nun zitiert die Zeitschrift PhysicsWorld den Physiker John Ellis, eines der fünf LSAG-Mitglieder mit den Worten, das Resultat der Sicherheitsstudien sei "im Voraus festgestanden" und es gebe "keine wissenschaftliche Motivation für solche Studien".

Anlass für diese Aussage war ein rechtswissenschaftlicher Aufsatz, der kürzlich in der Tennessee Law Review erschien. Der US-Rechtsprofessor Eric E. Johnson kommt darin zum spektakulären Schluss, dass eine Klage, die auf eine provisorische Verfügung gegen den Betrieb des LHC abzielte, vor einem US-Gericht gute Chancen hätte. Es gehe ihm dabei nicht darum, den LHC zu stoppen, so Johnson. Für ihn sei nur wichtig, dass Gerichte entscheiden sollten.

Modellfall für neue Risiken

Der Fall geht für den Jus-Professor noch über den LHC hinaus und könne als Modell für ähnliche Fälle riskanter Nano- oder Biotechnologie dienen: Risikoanalysen sind derart komplex geworden, dass nur wenige Menschen in der Lage sind, sie nachzuvollziehen. Dazu kommt, dass diese Experten befangen sind, weil ihre Jobs - siehe LHC - davon abhängen.

Wie sieht nun im Fall des LHC das zentrale Sicherheitsargument aus? Ganz einfach: Wenn sogenannte kosmische Strahlung auf die Erde trifft, kommt es am laufenden Band zu Teilchenkollisionen, wie sie der LHC erzeugt.

Wären diese gefährlich, gäbe es die Erde längst nicht mehr, wie auch der Cern-Physiker Michelangelo Mangano argumentiert. Um "ganz sicher" zu gehen, untersuchte er mit seinem US-Kollegen Steve Giddings auch noch Neutronensterne und weiße Zwerge, bei denen - im Gegensatz zur Erde - kosmische Strahlung gestoppt würde und "theoretisch" stabile kleine Löcher entstehen könnten.

Aber selbst dort sei das nicht der Fall. Wenige Wochen nach der Publikation der Studie präsentierte der deutsche Astrophysiker Rainer Plage seine Kritik daran. Er hält das Risiko ebenfalls für klein - aber eben nicht für völlig vernachlässigbar.

Wie könnten nun Richter, die den Fall beurteilen müssten, mit den für sie unverständlichen widersprüchlichen Berechnungen umgehen? Ellis, Mangano und Giddings gehören zum Establishment der Teilchenphysik. Plaga und Rössler hingegen arbeiten in Nachbardisziplinen und sind Außenseiter und Einzelkämpfer. Haben Erstere also nicht einfach ungleich mehr Glaubwürdigkeit?

Für ein Gericht verbiete sich dieses Argument, schreibt Johnson: "Allgemeine Akzeptanz durch die Fachgemeinde bedeutet nahezu nichts, wenn diese selbst befangen ist." Angewandt auf das Cern, fällt Johnsons Analyse ernüchternd aus. Die Teilchenphysiker bildeten eine verschworene Gemeinschaft. Und solche Gemeinschaften seien besonders anfällig für Gruppendenken, das störende Gedanken ausschließt. Es habe etwa zum Absturz der Raumfähre Columbia 2003 beigetragen.

Johnson zeigt ferner, wie sich Sicherheitsargumente rund um den LHC innerhalb weniger Jahre geändert haben, weil frühere Gewissheiten im Lichte neuer Theorien plötzlich ungewiss geworden waren. Immerhin konzedierte auch LSAG-Mitglied John Ellis, die Frage der schwarzen Minilöcher sei "ein sich schnell veränderndes Forschungsgebiet".

Am meisten freilich stört Johnson, dass die LSAG eine cerninterne und keine unabhängige Instanz ist. Würde, schreibt er, ein Medikament die Marktzulassung allein aufgrund eines Berichts erhalten, den fünf Mitarbeiter des Pharmaunternehmens geschrieben haben, das dieses Medikament vertreibt, so wäre dies "ein Skandal von epischem Ausmaß".

Keine Freude beim Cern

In Genf ist man über Johnsons Artikel wenig erfreut. Cern-Sprecher James Gillies sagt, Johnson habe es versäumt, auch "die andere Seite der Medaille" zu betrachten. Michelangelo Mangano wirft Johnson vor, dass er mit keinem einzigen Cern-Physiker gesprochen habe. Zudem hätten sich die Kritiken Rösslers und Plagas als falsch erwiesen.

Mag sein, dass es die Physiker einfach leid sind, auf Kritik reagieren zu müssen, die einfach fehlerhaft und falsch ist. Vor Gericht wären die Parteien dennoch gezwungen, auf die jeweiligen Argumente einzugehen. Und allein darum geht es Eric Johnson. (Marcel Hänggi/DER STANDARD, Printausgabe, 24.2.2010)