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Foto: Nora Frey
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An einem sonnigen heißen Julitag des vergangenen Jahres fand ein eigenartiges, trauriges Picknick am Fuße des Mittelwellensenders Bisamberg statt. Sentimentale Radiomacher und Ö-3-Mitarbeiter verabschiedeten sich vom höchsten Bauwerk Österreichs. Nun ist es soweit - am 24. Februar wird er gesprengt! Wir Radiomacher hätten anders entschieden.

Ö-3-Radiofreaks mit Herz und Seele, darunter Moderator Andi Knoll, die Picknick-Organisatoren Peter Dollack und Klaus Hörr und ich, mit den jeweils dazugehörigen Freunden, Frauen, Kindern waren zusammengekommen, um uns von dieser historischen "Persönlichkeit", mit 265 Meter das höchste Bauwerk Österreichs, zu verabschieden. Seltsam? Nein, wir sind Radiomacher. Der Sender ist unser Tool. Auch wenn sich die Zeiten ändern.

So saßen wir direkt unter dem wie ein riesiger Finger endlos in den blauen Sommerhimmel zeigenden Mast in einer duftenden Blumenwiese mit Blick weit über Wien und Klosterneuburg hinaus bei Brot und Wein, schlichteten kleine Kinderscharmützel unserer Nachkommen und sinnierten, was nebst den von uns über viele Jahre produzierten Radiosendungen denn noch alles über diesen Sender ausgestrahlt hätte werden können! Ein großes Potential geht verloren!
"Es wird ihnen noch leid tun", murrte einer von uns, "bis nach Nordafrika reichte die mächtige Mittelwelle". Wir waren uns einig, wir hätten anders entschieden.

Während im sparsamen Deutschland historische Sender konserviert und als spannendes lebendiges technisches Kulturgut der Nachwelt erhalten werden, holt dieser denkmalschützerische Aspekt in Österreich keinen Hund hinter dem Ofen hervor.

Es hatte sich schon lange unter den ORF-Mitarbeitern herumgesprochen, dass hierorts niemand dieses großartige, höchst interessante und geschichtsträchtige Monument erhalten will. Kein Denkmalamt, kein technisches Museum, kein Irgendwer.

Wiewohl - gar nicht stummer - Zeitzeuge, wird das höchste Gebäude des Landes am kommenden Mittwoch einfach in die Luft geblasen. Paff! Und der Mega-Mast knickt kontrolliert in das geräumte Umland. Menschen stehen herum und sehen zu. Das wars dann wohl. Leb wohl, Du technisches Monument, das Du angeblich zu teuer in der Erhaltung bist. (ca. 1. Mio Euro, sagte man mir, aber immer noch billiger als eine ORF Faxwahl mit ca. 1,4 Mio Euro). Mach Platz für was Besseres!

Schon sehe ich die glühenden Augen der Immobilienspekulanten über die herrlichen Wiesen und idyllischen Gärten der Hügel des Bisambergs gleiten. Schon liegen vermutlich in irgendwelchen Schubladen hinter ledergepolsterten Türen die "Entwicklungskonzepte" irgendwelcher dubioser Immobilienfonds und beschleunigt den Speichelfluss deren Fondsmanager.

Die Geschichte des Senders ist eine umfassende und unglaubliche. Er hat sogar die Zerstörungsversuche der abziehenden SS Truppen 1945 überdauert, einen Brand, einen Krieg.

Zuletzt wurde der Großsender Bisamberg im Mai 1999 verwendet. Bei unseren jugoslawischen Nachbarn herrschte Chaos. Der ORF sendete in Richtung Balkan Informationssendungen und auch "Nachbar in Not". Das nenne ich öffentlich-rechtlichen Auftrag. Es gab ein Anliegen, das hat Information und Hilfe bedeutet. Und Zivilcourage.

Die Eigentümer heute, die Betreibergesellschaft ORS, im Eigentum der Raiffeisen-Holding und des ORF haben dafür kein Verständnis.

Engagierte Einzelpersonen haben Initiativen ins Leben gerufen. Z.B. die des Wolfgang Vanek, der versucht hat, Menschen zu mobilisieren.

Wir, die Ö-3ler, zählen schon zu den letzten, die an jenem strahlenden Sommertag im Juli 2009 durch das Sendegebäude geführt werden.

In manchen Räumen herrscht der stille Charme der 60 Jahre, die Technik der gewaltigen, monströsen Sendeanlage ist ein Elementarerlebnis. Alles ist sauber, serviciert, gepflegt. Man könnte jede Sekunde wieder loslegen. Die riesigen Röhren, die Kühlungen, die fetten Kabel.

Dampflockgroße Dieselaggregate mit bis zu 500 PS sorgen für unabhängige Stromversorgung des Senders, dessen Baubeginn 1932 war, der 1945 gesprengt wurde und 1950, zuerst provisorisch, wieder in Betrieb ging.

Der Mast zu Österreichs erster Großsendeanlage für Mittelwellentechnik wird in weniger als 48 Stunden knicken und fallen. "Der Mast als Bauwerk ist nicht nutzbar, und seine Erhaltung finanziell nicht tragbar", sagt ein Experte im Bundesdenkmalamt.  "Wir bekommen keine Genehmigung", sagt ein Sendertechniker.

"Hier stirbt ein Stück Radiogeschichte", sagt ein Ö-3-Kollege, "Radio ist trotz Internet und TV, trotz blogs und youtube immer noch allgegenwärtig. Wir hätten hier unseren Nachkommen ein Stück Radiogeschichte hinterlassen können. Ein Radiomuseum, das uns die Vielfalt des Radios zeigt, in allen seinen Facetten als lebendiges Kommunikationsmedium, z.B. als Instrument der Bildung, der Information, Formatradio, aber auch als geschichtliches Instrument der Propaganda", so Peter Dollack, Leiter der ORF-TV-Thek und langjähriger Radioredakteur.

Ich wünsche mir, dass meine Ängste vor den Spekulanten falsch sind, dass dieser gigantische, beeindruckende Zeitzeuge stehen bleibt. Viele Radiomacher haben bis heute noch einen hohen Grad an Sendungsbewusstsein; Es wäre schön, wenn die Entscheidungsträger des ORS für dieses Kulturgut der österreichischen Medienlandschaft auch ein bisschen Senderbewusstsein entwickelt hätten.

Nora Frey
Radiomacherin über 20 Jahre

(derStandard.at, 23. Februar 2010)