Sozis, ja? Nazis, nein?" Unter diesem Titel macht sich Kurt Bauer (Zur Nachlese hier) Gedanken über die zurzeit im Justizausschuss verhandelte, längst überfällige vollständigen Rehabilitierung der Dollfuß-Opfer.

Der Titel wird dem wahren Gegenstand seiner Sorge nicht ganz gerecht. Da nämlich die Rehabilitierung selbstverständlich die nach dem Juli-Putsch verurteilten Nationalsozialisten nicht einschließen könne und damit automatisch "allein gesinnungsfeste linke Gegner des Dollfuß-Regimes" zu deren Anwärtern würden, welche wiederum "zum überwiegenden Teil der KP angehörten", sieht sich Bauer einem für ihn scheinbar unlösbaren Paradoxon gegenüber: "Was heißt das nun? Anhängern Stalins das zuerkennen, was man Anhängern Hitlers verweigert?"

An dieser Stelle eine Debatte zu eröffnen über die fatale politische Wirkung der durch das Schwarzbuch des Kommunismus vorgenommenen Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus, ist weder sinnvoll noch erforderlich.

Verwiesen sei jedoch darauf, dass gerade österreichische KommunistInnen wenig Grund haben, die Verbrechen des Stalinismus zu verharmlosen. Relevant, auch für die hier zur Diskussion stehende Frage, ist etwa, dass von den 750 Schutzbündlern, die nach den Februarkämpfen über die Tschechoslowakei in die Sowjetunion emigrierten, ein Drittel dem Stalin-Terror zum Opfer fiel. Erst nach jahrzehntelanger Bemühung des Altvorsitzenden der KPÖ, Franz Muhri, gelang es, dass jene kommunistischen Opfer des Stalinismus, deren Schicksale sich aufklären ließen, eine späte Rehabilitierung durch die sowjetische Regierung erfuhren. (Siehe auch das Büchlein: Walter Baier, Franz Muhri, Stalin und wir. Stalinismus und die Rehabilitierung österreichischer Opfer)

Interessant ist, dass der als Referenz zitierte Bruno Kreisky 1936 im Großen Hochverratsprozess zusammen mit den kommunistischen Spitzenpolitikern Fürnberg und Honner die Anklagebank drückte. Beide würde man nach heutigen Maßstäben wohl lupenreine Stalinisten nennen, was aber die Revolutionären Sozialisten nicht daran hinderte, gemeinsam mit der KPÖ Solidaritätsaktionen zu ihren Gunsten durchzu- führen.

Grundsätzlich ist festzustellen: Wer sich 1934 am Widerstand der Arbeiterschaft gegen die Diktatur beteiligte, ob Mitglied der seit 1933 verbotenen KPÖ oder nicht, verteidigte die Demokratie. Wer 1934 der illegalen NSDAP angehörte, selbst nur als "Suchender und Irrender" , bereitete die Zerstörung Österreichs vor, das seinen 200.000 jüdischen Staatsbürgern zumindest jenen minimalen Schutz des Lebens und der Unversehrtheit gewährte, der ihnen 1938 durch den "Anschluss" an NS-Deutschland entzogen wurde.

Anders als man nach Lektüre von Bauers Text annehmen könnte, handelt es sich bei dieser ausschlaggebenden Differenz um keine politische Ermessensfrage. Verfassung und Gesetzeslage sprechen eine zu eindeutige Sprache. 1945, unmittelbar nach Österreichs Befreiung, verabschiedete die aus SPÖ, ÖVP und KPÖ gebildete provisorische Regierung ein NS-Verbotsgesetz. Ihm zufolge wurde die NSDAP samt ihren Unterorganisationen verboten. Alle Personen, die ihr zwischen 1933 und 1945 angehörten, wurden zur Registrierung verpflichtet und waren von der ersten Nationalratswahl ausgeschlossen.

In diesen klaren gesetzlichen Voraussetzungen liegt auch die Maßgabe der von Bauer für problematisch erachteten Abgrenzung bei der Rehabilitierung der Dollfuß-Schuschnigg-Opfer: All jene Personen wären von ihr auszunehmen, die nach dem NS-Verbotsgesetz als ehemalige Nationalsozialisten registrierungspflichtig waren oder gewesen wären. Einmal mehr scheint es also um eine Reaktivierung des antinazistischen Impetus zu gehen, der die Gründer der Zweiten Republik in den ersten Wochen nach der Befreiung zur Verabschiedung von Gesetzen veranlasste, von deren Existenz man im heutigen Österreichs wenig wissen will. (Walter Baier, DER STANDARD, Printausgabe, 23.2.2010)