Schon kurz nach 18 Uhr ist fast jeder Platz an den Esstischen der provisorischen Notschlafstelle im Caritas-Heim St. Josef besetzt. Jede Nacht kommen rund vierzig Männer her.

Foto: Standard/Christian Fischer

Die "zweite Gruft" in Wien-Währing ist seither jede Nacht voll besetzt. Ein Lokalaugenschein.

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Wien - Auf dem grauen Plastikboden liegen bereits einige Schlafsäcke, die Sessel an den Esstischen sind schon fast alle besetzt. Kurz nach 18 Uhr ist das Untergeschoß des Caritas-Wohnheimes St. Josef in Wien-Währing gut gefüllt. "Das geht so, seit wir aufgesperrt haben" , sagt Heimleiter Erich Grabner. Rund 40 wohnungslose Männer schlafen seit Mitte Dezember jede Nacht im alten Turnsaal. Von 18 bis 21 Uhr können sie sich hier um einen Schlafplatz und ein Abendessen anstellen. Punkt 8 Uhr früh müssen sie das Gebäude wieder verlassen.

Das ehemalige Waisenhaus in der Lacknergasse ist eigentlich ein Wohnheim, in dem Obdachlose längerfristig unterkommen. Ende vergangenen Jahres wurde der Aufenthaltsraum der Einrichtung allerdings kurzfristig zum provisorischen Schlafsaal für Nicht-Österreicher umfunktioniert.

George, schwarze Lederjacke, graues Schildkapperl, rollt hier seit vier Wochen jeden Abend Iso-Matte und Schlafsack aus. "Für den Moment ist es ganz okay hier" , sagt er. Vor drei Jahren verließ der 36-Jährige seine Heimatstadt Bukarest. Seither versucht sich der gelernte Elektriker in Wien mit Schwarzarbeit über Wasser zu halten - was ihm nicht immer gelingt, vor allem im Winter. "Wenn es so kalt ist wie jetzt, sind die Baustellen zu." Bisher übernachtete er im Winter bei Freunden, seit er von der Schlafstelle in der Lacknergasse gehört hat, kommt er jeden Abend hierher. "Ich will mein ganzes Leben in Österreich bleiben und nie wieder nach Rumänien zurück" , sagt er.

Ein Großteil der Klienten der Notschlafstelle kommt aus Rumänien und Bulgarien. Schlecht ausgebildet und ohne Geld haben sie kaum Chancen, auf Dauer in Österreich bleiben zu dürfen. Nach drei Monaten endet der legale Aufenthalt, dann verlassen die meisten kurz das Land, um gleich wieder einzureisen.

Seit zwei Jahren arbeitet die Caritas an einem Konzept für eine Gruft für Ausländer. In der Obdachloseneinrichtung im Keller der Mariahilfer Kirche haben nämlich laut Sozialhilfegesetz nur Österreicher Anspruch auf einen Schlafplatz. Schätzungen zufolge sind in Wien rund 300 Nicht-Österreicher obdachlos. Zuletzt wurde der Umstand, dass viele Zuwanderer auf der Straße stehen, nach der Räumung des Audimax der Uni Wien augenscheinlich - Caritas und Fonds Soziales Wien beschlossen daraufhin, für diesen Winter ein Provisorium im Haus St. Josef einzurichten.

In den oberen Stockwerken leben derzeit 39 Menschen in Kleinwohnungen. "Natürlich gibt's manchmal Wickel mit den Leuten herunten" , sagt Grabner, "wenn's kein Warmwasser mehr gibt zum Beispiel." Am späteren Abend wird im Souterrain auch der lange Gang zwischen Hauptraum und Waschbereich zum improvisierten Schlafsaal. Manchmal kommen nämlich nicht nur 40, sondern über 50 Männer. "Wir lassen niemanden vor der Tür stehen" , sagt Grabner. Was aber nicht heiße, dass noch nie jemand dorthin befördert worden sei: "Wer sich blöd benimmt, muss wieder gehen - unser größtes Problem ist sicher der Alkoholismus."

Das Trinken ist auch an Iosif nicht spurlos vorbeigegangen. Der 57-Jährige hat den Großteil seines Lebens auf der Straße verbracht, vor ein paar Jahren wurde ihm am Oberschenkel eine künstliche Vene eingesetzt. Seit einigen Wochen ist er in Wien - und hofft, hier ohne Geld leichter an blutverdünnende Medikamente zu kommen als in seiner Heimat Rumänien. "Hier ist es auf jeden Fall besser als zu Hause" , sagt er.

Aus der improvisierten zweiten Gruft soll ab dem nächsten Winter eine Dauereinrichtung werden, allerdings an einem anderen Standort, denn das Haus St. Josef will den alten Turnsaal als Aufenthaltsraum zurück. Die Caritas verhandelt diesbezüglich mit dem Fonds Soziales Wien. "Es ist zumindest ein befristetes Nachtnotquartier nötig" , sagt Michael Zikeli, Caritas-Leiter für Asyl und Integration, "um niemanden, egal welcher Herkunft, auf der Straße stehen zu lassen."

Geld für die Heimreise

Wer dort übernachtet, wird sich auch beraten lassen müssen. Denn manchmal, so Zikeli, sei es notwendig, "den Menschen klarzumachen, dass es für sie keine Perspektiven in Österreich gibt." Die Rückkehrberatung besteht zum einen im Vermitteln sozialer Einrichtungen im jeweiligen Herkunftsland, zum anderen sollen Rückkehrwillige Fahrscheine für die Heimreise erhalten.

George hofft, dass er nie in die fixe zweite Gruft muss. "Bis dahin geht es mir sicher wieder besser" , sagt er, "ich habe nämlich sehr viele Freunde in Wien." (Martina Stemmer, DER STANDARD - Printausgabe, 22. Februar 2010)