Werner Bartens: "Körperglück - Wie gute Gefühle gesund machen". Droemer Verlag 2010, 317 Seiten, 19,95 Euro

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STANDARD: Sie haben ein Buch mit dem leicht esoterischen Titel "Körperglück" geschrieben. Warum?

Bartens: Mit Esoterik hatte ich nie etwas am Hut. Im Gegenteil: Das Buch ist für all jene geschrieben, die täglich mit schlechter Laune, gedrückter Stimmung, Stress bei der Arbeit oder unzufrieden in ihren Partnerschaften durchs Leben gehen. Ich wollte zeigen, wie stark Gefühle auf den Körper wirken.

STANDARD: Schulmediziner wie Sie rümpfen doch eher die Nase, wenn sie hören, dass Glück gesund macht, oder?

Bartens: Ich hatte während des Schreibens oft Sorge, dass das Buch falsch verstanden würde. So nach dem Motto: "Denk positiv, und alles wird gut." Das soll es nicht sein. Ich war selbst überrascht, als meine Recherchen viele handfeste, in experimentellen Studien und auf naturwissenschaftlicher Basis gewonnene Fakten zu Tage förderten, die eindeutig zeigen, wie viele Ebenen des Körpers miteinander in Wechselwirkung sind: Immunsystem, molekulare Mechanismen, Stress - all das greift ineinander.

STANDARD: Macht es nicht gerade diese Komplexität schwer, eindeutige Zusammenhänge zu finden?

Bartens: Das ist nur auf den ersten Blick schwierig. Psychosomatische Faktoren wurden rein quantitativ einfach zu wenig erforscht. Die vielen im Buch zitierten Studien stammen alle aus den letzten zehn Jahren. Es ist ein Trend dieses Jahrtausends, die Zusammenhänge zwischen Körper und Seele viel genauer unter die Lupe zu nehmen. Dass es Verbindungen zwischen Körper und Seele gibt, weiß man seit der Antike, jetzt erforscht man sie systematisch.

STANDARD: Welches der vielen Beispiele im Buch war für Sie besonders beeindruckend?

Bartens: Ein medizinisches Experiment in Indien der 30er-Jahre, das in vielen Fachzeitschriften immer wieder zitiert wird: Opfer des Versuchs war ein zu Tode Verurteilter, den ein Arzt überzeugte, dass es angenehmer und schmerzloser sei, statt am Strang durch Verbluten zu sterben. Der Gefangene willigte ein, ließ sich ans Bett fesseln und die Augen verbinden. Der Arzt brachte mit Wasser gefüllte Beutel am Bett an, ritzte dem Gefangenen die Haut an Händen und Füßen ein bisschen auf und ließ das Wasser in Schüsseln tropfen. Der Gefangene hörte es tropfen, der Arzt sang, und als alles Wasser in die Schüssel geronnen war, schien der Gefangene eingeschlafen. Es war ein Irrtum: Der Gefangene war gestorben, dabei hatte er kaum Blut verloren.

STANDARD: Gibt es auch weniger drastische Beispiele?

Bartens: Schlechte Wundheilung bei Menschen, die Stress in ihrer Partnerschaft haben. Interessant ist auch eine Studie aus Stanford, die Persönlichkeitsprofile erstellt, um zu ergründen, welche Menschen zu Rückenschmerzen neigen. Man konnte ermitteln, dass Stress im Job das Risiko massiv erhöht. Man weiß auch, dass Frauen mit Brustkrebs, die sich geliebt fühlen, länger überleben. Die Fülle der unterschiedlichen Befunde aus der Klinik und dem Labor ergeben ein großes Ganzes, sind Steine eines riesigen Mosaiks.

STANDARD: Was bringt dieses Wissen jemandem, der es im Leben eben nicht leicht hat?

Bartens: Es wäre ein vulgärer Kurzschluss zu sagen, jemand sei selbst an seiner Krankheit schuld. Krankheit ist Pech, Schicksal und Unglück und hat nichts mit Schuld zu tun. Es gibt definitiv keine Krebspersönlichkeit, wie man das in den 70er-Jahren dachte. Andererseits bedeutet das aber nicht, dass wir keine Einflussmöglichkeiten haben.

STANDARD: Schwierig, die Grenze zu ziehen?

Bartens: Es geht darum, auch in belasteten Situationen Bedürfnisse erkennen zu können. Die einen kauen Fingernägel, wenn sie Stress haben, andere fressen Junk-Food zur Beruhigung - da werden Signale vom Körper missinterpretiert. Der Kopf findet die falsche Lösung. Es geht also darum, Bedürfnisse zu erkennen, und die sind höchst individuell: Der eine braucht Ruhe, der andere einen Spaziergang oder Sport. Der erste Impuls bei Stress, nämlich Fingernägel kauen oder Junk essen, ist sicherlich verkehrt.

STANDARD: Warum nehmen Ärzte Emotionen so wenig ernst?

Bartens: Weil es ein Umdenken in der gesamten Medizin erfordern würde. Ärzte lernen, Medikamente zu verschreiben, sie lernen Diagnostik, aber wenig über Emotion. Einzig in der Psychosomatik gibt es dieses Verständnis, und es ist kein Zufall, dass dieses Fach deshalb als letzte Anlaufstelle für ungelöste Probleme gilt. Man weiß, dass 50 Prozent aller Patienten im niedergelassenen Bereich Beschwerden ohne organische Ursachen haben, unter Herzrasen, Kopfweh, Reizdarm, Verdauungsproblemen leiden. Sie leiden auch wirklich und bilden sich das nicht ein. Es würde also Sinn ergeben, Psychosomatik viel stärker in jeder medizinischen Fachdisziplin zu verankern.

STANDARD: Also doch Systemkritik?

Bartens: Das habe ich in vielen Büchern immer wieder gemacht. Ärzte, die sich mit Emotionen auseinandersetzen wollen, müssen Zeit und Mühe investieren. Es ist einfacher, Medikamente zu verschreiben. Dabei haben Ärzte eine wichtige Rolle, das hat schon Michael Balint in den 50er-Jahren gewusst - die "Droge Arzt", sagt er.

STANDARD: Sind Einbildung und Placeboeffekt das selbe?

Bartens: Der Unterschied ist, dass Placebo ein Agens braucht, also ein Mittel, das einem das Gefühl gibt, es macht etwas. Es gibt Ursache und Wirkung, dazwischen liegt die Bedeutungserteilung. Man weiß, dass Krebspatienten schon vor der Chemo schlecht wird, man weiß, dass Aspirin bei Menschen nach einer durchzechten Nacht blitzartig wirkt, so schnell, dass die pharmakologische Wirkung sich gar nicht entfaltet haben kann.

STANDARD: Oder Mittel, die einem schlechttun?

Bartens: Die Nocebos. Es gab eine Studie, bei der Studienteilnehmer mit Handy-Attrappen sagen sollten, ob sie von der GSM-Strahlung Kopfweh bekommen. Sie dachten, es sind echte Handys, und bekamen Kopfweh.

STANDARD: Lässt sich Optimismus verordnen?

Bartens: Ärzte können schon eine Hilfestellung leisten. Oft geht es darum, Stärken und Schwächen von Menschen zu ergründen, Bedürfnisse zu orten und richtige Maßnahmen zu setzen. Viele Menschen haben einfach nicht gelernt, auf sich zu achten, und merken es, wenn sie im Umgang mit Stress scheitern. Esoterik liegt mir fern, aber eine ganze Reihe von Entspannungstechniken kann helfen. Manchen reicht tiefes Durchatmen, anderen gelingt es beim autogenen Training. Es kommt auch hier immer auf persönliche Vorlieben an. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 22.02.2010)