"Bastard-Kabarett" von Rudi Schöller und Hosea Ratschiller: "Die Leute wollen sich im Kabarett vom Theater erholen. Wenn man dort auch noch gefordert wird, fühlen sie sich extrem belästigt." 

Hosea Ratschiller (28) arbeitet bei FM4 als "Ombudsmann" und ist Mitgestalter der Ö1-Satiresendung "Welt Ahoi!". Auch Rudi Schöller (34) entstammt dem FM4-Umfeld. Er arbeitet seit den späten 1990er-Jahren als Musiker und Humorist. Dem TV-Publikum ist Schöller als stummer Diener "Vormärz" aus der Sendung "Wir sind Kaiser" bekannt, an der er auch mitschreibt.

 

Foto: Jenseide

Christian Schachinger sprach mit ihnen über Techno, Ego-Shooting und zärtliches Kabarett.

Standard: In "Liebe Krise vs. Show" lassen Sie Ihre aktuellen Soloprogramme aufeinanderprallen. Erleben wir Pop-Techniken wie Remix, Bastard-Pop oder Mash-up und wie diese auf das Kabarett übertragen werden?

Rudi Schöller: Sie werden zu etwas Neuem "verwoben". Wir drücken sicher nicht abwechselnd unsere Wuchteln in den Saal.

Hosea Ratschiller: Wir haben die Protagonisten aus den Programmen entfernt und den Rohtext daraufhin untersucht, ob es möglich ist, neue erzählerische Bögen aufzuziehen.

Standard: Soloprogramme sind Ego-Shooter-Spiele. Wird da nicht etwas zusammengehauen, was nicht zusammengehört?

Ratschiller: Ganz ohne Gewalt geht es nie. Es gibt in Liebe Krise und Show gemeinsame Themen wie Kreativität oder Identität. Diese Ego-Sache im Kabarett ist natürlich virulent. Unter dem Motto "Ich wüsste, wie es besser geht, hört gut zu, dann haben wir schon ein gutes Wegstück geschafft" zerlegt sich der Protagonist in seine Einzelteile. Die größte Gemeinsamkeit bei Schöller und mir ist die Liebe zum Zweifel. Es gibt Religion, und die wird schleichend ersetzt durch Wissenschaft und Evidenz. Dort, wo früher der Pfarrer gesessen ist, tagt jetzt ein Experte, der alles immer ganz genau weiß. Wenn man das vermeidet, entsteht eine Unsicherheit, in der Erstaunliches geschieht.

Schöller: Ja, im Zweifel für den Zweifel.

Standard: Sie stehen für einen Generationswechsel im Kabarett. Geht der Trend über Schneyder, Dorfer oder Grissemann/Stermann bis zu Ihnen Richtung grüblerisches Format? Hat die allwissende Rampensau ausgedient, und regieren jetzt gebrochene Figuren?

Ratschiller: Man könnte sagen, der Boom ist vorbei, und alles geht den Bach runter. Da kommen die Zweifel von selber. Aber das Kabarett als solches gibt es nicht.

Standard: Noch vor zehn Jahren ist man im FM4-Umfeld aber schon schief angesehen worden, wenn man "ins Kabarett" gegangen ist.

Schöller: Wenn ich in den 90er-Jahren auf einer Party Gitarre gespielt habe, ist immer jemand gekommen und hat gefragt, ob ich vielleicht gerade traurig sei. Deshalb hoffte man damals, dass sich alles weg von der Autorenbefindlichkeit Richtung "anonyme" elektronische Musik bewegen würde. Ab 2001 kamen dann die Gitarren zurück, und der DJ war wieder tot. Und jetzt geht alles. Beim Kabarett verlaufen diese Entwicklungen ähnlich. Sich von ihm kategorisch abzugrenzen finde ich also nicht zielführend.

Ratschiller: Projekt X und Grissemann/Stermann auf FM4, das waren damals die Leute, die mich zum Humoristischen brachten. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das als Kabarett zu bezeichnen. Was heute wie damals fehlt, ist der Diskurs.

Schöller: Es wird nicht diskutiert, was da eigentlich verhandelt wird. Man geht da hin - und dann wieder heim. Die Szene ist zu klein, sie hat kein eigenes Medium. Die Popmusik und das Theater haben es da besser.

Standard: Kabarettpremieren bedeuteten in Zeitungsredaktionen lange Zeit Strafdienst. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Josef Hader wollte man sich seine Abende nicht wirklich verderben.

Ratschiller: Deutsche Theatermacher schwärmen ja immer von Wien als Theaterstadt. Ich habe das Gefühl, dass sich die Wiener im Kabarett vom Theater erholen wollen. Wenn man dann dort auch noch gefordert wird, fühlen sich die Leute extrem belästigt.

Schöller: Für die Leute, die zwischen Kasperl- und Burgtheater steckengeblieben sind, für die gibt es dann halt oft nichts.

Standard: Die jüngere Kabarettistengeneration hinterfragt das Format und unterzieht es Belastungsproben. Die Pointenlosigkeit wurde gern als Gegengift gefeiert.

Ratschiller: Das junge Publikum ist eher bereit, sich auf lange erzählerische Bögen einzulassen. Die Älteren erwarten sich die Pointenschleuder. Stermann/Grissemann denken halt das Medium mit, das ist damals neu gewesen. Mittlerweile ist das Standard.

Standard: Sprechen wir von Distanz als Ausgangspunkt?

Ratschiller: Man muss sich gegen dieses neoliberale Denken verwahren, das tief in einem drinnen steckt. Alles muss sich immer rechnen. Selbst der Neoliberalismus wird mit neoliberalem Vokabular bekämpft. Die einzige Möglichkeit, die man als Künstler hat, ist, darauf hinzuweisen, dass es nicht zwingend ist, in Marktberechnungen vorzukommen.

Standard: Ist Kabarett eine aggressive Kunst? Zärtlich Witze machen geht ja wohl nicht.

Ratschiller: Da schau ich jetzt aber den Schöller ganz groß an.

Schöller: Man muss in der Lage sein, den Scherz abzufangen. Lachen ist eine Kurzschlussreaktion. Wird man damit allein gelassen, kann es unangenehm werden. Wenn dem aber eine Erkenntnis zugrunde liegt, ist Lachen die schnellste Form des Denkens.

Ratschiller: Ich tu den Leuten weh, der Schöller fängt sie dann auf.

Schöller: Das ist eine undankbare Aufgabe.

Standard: Der eine war eh lustig, aber wenn der andere geredet hat, habe die Ehre.

Ratschiller: Jetzt ist Ihre Kritik auch schon fertig geschrieben. So wird der Abend nämlich werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.2.2010)