Drastischer Schritt eines Verzweifelten: Regisseur Rafi Pitts verkörpert selbst die Hauptfigur in "Shekarchi / The Hunter".

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Wucher, sexuelle Unersättlichkeit, Illoyalität: "Jud Süß" (1940) ist einer der berüchtigsten NS-Propagandafilme, der mit der Figur des Juden Joseph Süß Oppenheimer ein Gefäß für antisemitische Stereotype schuf. Veit Harlans Film war ein Kassenschlager, über 20 Millionen sahen ihn, und der NS-Propaganda-Apparat nutzte ihn, um Antisemitismus weiter zu schüren. Man kann sich ganz legitim fragen, wozu man sich dieser Thematik noch einmal, in dieser Form annehmen muss: als mit deutschen Kinostars besetzter Spielfilm, der aufs große Publikum schielt; mit einem Regisseur wie Oskar Roehler, der für provokante Positionen gerne mal moralische Standfestigkeit aufgibt.

"Jud Süß - Film ohne Gewissen" erzählt weniger die Hintergrundgeschichte der Produktion als vom Selbstverkauf eines Mannes: Ferdinand Marian (Tobias Moretti), Hauptdarsteller des Harlan-Films, ist kein besonders politischer Mensch. Entsprechend groß sind anfangs seine Bedenken, er ringt seiner Interpretation Nuancen ab, unterschätzt jedoch die Folgen dieses faustischen Pakts, der ihm kurz Anerkennung bringt und dann die Verachtung. Ein differenziertes Bild für diesen Weg gelingt Roehler nicht: Als sich Marian das erste Mal verweigert, verfällt Moritz Bleibtreus karikaturenhafter Goebbels in spastische Zuckungen; der Mime brüllt zurück und wirft zornig einen Aschenbecher zu Boden.

Gegen einen kolportagehaften Blick auf Geschichte wäre wenig zu sagen, hätte er die Verve eines Paul Verhoeven oder Quentin Tarantino. Doch Roehler inszeniert einen völlig zerrissenen Film, der unbeholfen zwischen verstaubtem NS-Melo, grellem Schmierentheater und fragwürdiger Geschichtsklitterung changiert. Um die Fallhöhe des Schauspielers aufzupeppen, dichtete man ihm kurzerhand eine jüdische Frau und einen jüdischen Kollegen hinzu. So kann Marian dem Fall "Jud Süß" als gebrochener Mann entsteigen, als erbarmungswürdiges Opfer eines Apparats, das am Ende von Juden getreten wird. Welch ein Fiasko! Ein Buh-Orkan beendete die Pressevorführung.

Einsame Helden, die sich allein auf eine tödliche Konfrontation einlassen, gibt es im Wettbewerb zum Glück auch überzeugender: Der iranische Regisseur Rafi Pitts, im Westen aufgewachsen, bezeichnet "Shekarchi" ("The Hunter") als "neorealistischen Western", und der Habitus seines Protagonisten hat tatsächlich etwas von Clint Eastwood. Die Story dieses harten, schonungslosen Films ist allerdings von großer Aktualität: Shekarchi erzählt von einem Mann, der leise an einem System zerbricht, das ihm alles nimmt - und das ihm dafür nicht einmal einen Grund liefert.

In der ersten Hälfte begleiten wir Ali durch Teheran. Streng komponierte Einstellungen isolieren ihn im grünen Chevrolet; manchmal blickt die Kamera auch aus großer Höhe auf die Welt. Ein Schichtwechsel in der Fabrik, der Ali mehr Zeit für Frau und Tochter brächte, wird verwehrt. Dann ist seine Wohnung leer; lapidar teilt die Polizei mit, seine Frau wäre bei einer Demonstration zwischen die Fronten geraten. Die Tochter bleibt unauffindbar, bis auch ihre Leiche entdeckt wird.

Rafi Pitts braucht wenige, unaufdringliche Zeichen, um den Film in der politischen Gegenwart zu verorten. Nachts dringen die Rufe der Opposition in Alis Wohnung, und im Auto hört er eine Rede von Khamenei, deren Versprechen von Wandel wie Hohn klingt. Irgendwann beschließt dieser Mann dann etwas zu tun, eine sinnlose, verzweifelte Tat, die ihn für einen Augenblick zurück in die Welt bringt: Er wird zum Scharfschützen, der auf Polizisten schießt. Die Gewalt ist in "Shekarchi" aber kein Endpunkt, sondern der Beginn einer Verhandlung, bei der so sichere Grenzen wie jene zwischen Verfolger und Verfolgtem porös werden. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.2.2010)