Wien - Kinder aus Familien, die in Armut leben oder davon bedroht sind, haben ein erhöhtes Risiko für psychische Krankheiten. Während der Zugang dieser Gruppe zu Psychotherapie in Deutschland und der Schweiz in den vergangenen Jahren verbessert werden konnte, haben in Österreich nur die wenigsten Kinder Chance, die erforderliche Behandlung zu bekommen. Auf dieses Problem hat der Bundesverbandes für Psychotherapie ÖBVP im Rahmen einer Pressekonferenz aufmerksam gemacht.

Armut schlägt sich auf die Psyche. Ausgrenzung und mangelnde Teilnahme an der Gesellschaft, wenig Anspruchnahme von deren Leistungen und psychosozialer Stress machen den armen Teil unserer Gesellschaft, zu dem statistisch jeder Vierzehnte gehört, besonders für seelische Erkrankungen anfällig. "Obwohl Stress als Managerkrankheit gilt, zeigen die Herzinfarkt-Zahlen, dass Arme häufiger davon betroffen sind. Der Kampf ums eigene Überleben belastet mehr als die Frage, wie viel man verdient", erklärt ÖBVP-Vizepräsident Werner Schöny.

Nur jeder zehnte Kranke erhält Therapie

Besonders sensibel sind Kinder und Jugendliche aus armen Familien. Laut einer Erhebung des Robert Koch Instituts bei Buben sind 18 Prozent der Drei- bis Zehnjährigen aus Familien der untersten Einkommensklasse psychisch auffällig, sowie 14 Prozent der Elf- bis 18-jährigen. "Je nach Alter zeigt sich kindliche Depression in Nahrungsverweigerung, Einnässen und Einkoten, später im sozialen Rückzug, schulischen Leistungsabfall und Schulverweigerung bis hin zu Zwangssymptomen, die auch bei Erwachsenen vorkommen", berichtet ÖBVP-Präsidentin Eva Mückstein. Den Bedarf für psychotherapeutische Behandlung schätze man auf zwei bis fünf Prozent der gesamten Altersgruppe.

In Deutschland und der Schweiz sei es dank Kassenzuschüssen für Bedürftige gelungen, dass die Inanspruchnahme der Therapie in dieser Gruppe gestiegen ist. In Österreich liege der Versorgungsgrad hingegen bloß bei einem Zehntel des Bedarfs, wobei selbst bei diesem Anteil die Wartezeiten bis zu einem Jahr dauern können und nur jeder Zweite voll kassenfinanziert wird. Der Rest erhält 21,80 Euro Zuschuss der rund 80 Euro teuren Einheit. "Psychisch Kranke sind nicht in der Lage, ihre Rechte zu erkämpfen, sondern ziehen sich zurück wenn sie wahrnehmen, dass sie sich die Therapie nicht leisten können. Das trägt zur Chronifizierung des Leidens bei", so Mückstein.

Nichthandeln kostet mehr

Dieser Zustand sei für psychisch kranke Kinder katastrophal. "Die Spätfolgen sind Arbeitslosigkeit, hohe Anfälligkeit für Selbstmord und soziale Diskriminierung. Die Armutspirale setzt sich auf dieser Weise fort", warnt Schöny. Angesichts der hohen gesellschaftlichen Konsequenzen - etwa mehr Krankenhausaufenthalte, mehr Frühpensionierungen und auch mehr Empfänger von Sozialhilfe - sei ein erleichterter Psychotherapie-Zugang für Kinder die "jedenfalls günstigere" Alternative zur Beibehaltung des Status Quo. Derzeit läuft beim ÖBVP eine Unterschriftenaktion für eine leistbare Psychotherapie durch Kassenverträge und -zuschüsse. (pte)