Bild nicht mehr verfügbar.

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy neben Haitis Präsident René Préval (li.) bei einem Flug über das zerstörte Gebiet um Port-au-Prince. Vier Stunden dauerte Sarkozys Besuch

Foto: REUTERS/Carlos Barria

Als erstes französisches Staatsoberhaupt seit mehr als 200 Jahren hat Nicolas Sarkozy der Ex-Kolonie Haiti einen Besuch abgestattet. Freundliche Worte wurden gewechselt, eine offene Rechnung will er aber nicht begleichen - Stefan Brändle

***

Paris/Port-au-Prince - Gerade einmal vier Stunden hatte "Speedy" Sarkozy für seine Stippvisite in Haiti reserviert. Er überflog im Hubschrauber die erdbebenversehrte Hauptstadt Port-au-Prince, unterhielt sich mit dem haitianischen Präsidenten René Préval und besuchte ein französisch geführtes Notspital.

Eine der lukrativsten Kolonien

Aus historischer Sicht waren diese vier Stunden aber schon viel: Seit der Unabhängigkeit Haitis 1804 hatte noch gar nie ein französisches Staatsoberhaupt einen Fuß auf haitianischen Boden gesetzt. Das hatte seinen Grund: Zehntausende afrikanischer Sklaven, die nach Haiti verfrachtet worden waren und dort unter unmenschlichen Bedingungen Zuckerrohr abbauten, hatten die Franzosen aus ihrer lukrativsten Kolonie hinausgeworfen.

Erpressungszahlungen seit dem 19. Jahrhundert

Die Grande Nation hat dies nie verwunden. Den haitianischen Sklavenführer und Volkshelden Toussaint Louverture ließ sie in einem Militärfort im französischen Jura zugrunde gehen. Im 19. Jahrhundert erpresste sie von der haitianischen Regierung 90 Millionen Goldfrancs, sonst drohte eine neuerliche Invasion.

Haiti stotterte "Reparationszahlung" ab

Das bettelarme Haiti stotterte diese für seine Begriffe unermessliche Geldsumme - nach heutigem Wert acht Milliarden Euro - bis ins 20. Jahrhundert auf den letzten Centime ab. Haiti-Experten streiten bis heute, wie weit die "Reparationszahlung" für Haitis Unterentwicklung mitverantwortlich sind.

Diktator Duvalier lebte unbehelligt in Frankreich

2003 regte der haitianische Präsident Jean-Bertrand Aristide erstmals offen die Rückzahlung der Gold-Millionen an. Frankreichs damaliger Staatschef Jacques Chirac antwortete mit geradezu drohendem Unterton, er könne "gar nicht genug raten", von dieser Forderung abzusehen. Die Beziehungen zwischen Port-au-Prince und Paris erreichten einen Tiefpunkt, als die Franzosen an vorderster Front den Abtritt des zunehmend unfähigen und korrupten, aber demokratisch gewählten Präsidenten Aristide durchsetzten. Haitis ehemaligen Diktator Jean-Claude Duvalier lässt Frankreich hingegen seit 1986 unbehelligt in Paris leben.

Schlussstrich" unter die alte Kolonialbeziehung

Sarkozys Solidaritätsbesuch gut einen Monat nach dem Beben sollte es erlauben, "einen Schlussstrich" unter die alte Kolonialbeziehung zu ziehen, wie der Elysée formulierte. Sarkozy sagte in Port-au-Prince: "Machen wir uns nichts vor, unsere Präsenz hier hat nicht nur gute Erinnerungen zurückgelassen." Préval erwiderte, Geschichte sei Geschichte und der Kolonialismus ein "internationales", nicht nur ein französisches Phänomen gewesen.

Rückerstattung  blieb Tabuthema

Die teuerungsadäquate Rückerstattung der Goldfrancs blieb während des Besuchs jedoch ein Tabuthema. Ein Elysée-Berater erklärte aber, Sarkozy werde Haiti die französischen Entwicklungskredite im Umfang von 56 Millionen Euro erlassen. Für die Haiti-Konferenz Ende März kündigte Sarkozy "massive Wiederaufbauhilfe" an, in den nächsten zwei Jahren werde Frankreich Haiti mit 270 Millionen Euro unterstützen. 14 Milliarden Dollar wären laut interamerikanischer Bank nötig.(Stefan Brändle, DER STANDARD Printausgabe 18.2.2010)