Peter Simonischek als Wessely zwischen dem Geist einer Geliebten (Verena Lercher) und seiner Gattin (Claudia Martini).

Foto: Peter Manninger

Graz - "Sie haben Medizin studiert, Herr Doktor, und ich das Leben" , sagt der Rotlicht-König Wessely seinem Arzt (Gustav Koenigs), der ihm mitteilen muss, dass er todkrank ist. Es ist nicht der einzige platte Satz, den der hartgesottene Kerl mit dem guten Herz, den Peter Simonischek geben muss, sinnschwer absondert. Er spielt den Selfmade-Herrscher über elf Bordelle, aus denen er im festen Glauben an das Recht des Stärkeren ein Imperium schuf. Auf dem Höhepunkt seiner Macht aber verrät ihn jemand aus dem engsten Kreis an jemanden "ganz oben im Ministerium" , das ihm fortan das Leben mit Polizeieinsätzen schwer macht. Drogenmissbrauch und ein Selbstmord einer Prostituierten sind da Kleinigkeiten.

Papas böses Mädchen

Zu Hause macht ihm die Tochter, die doch brav Cello studieren sollte, aber lieber ins Geschäft einsteigen will, Sorgen: Auch die vor zwei Jahren für den Nestroy nominierte Andrea Wenzl, die im Herbst ans Volkstheater wechselt - für Graz ein herber Verlust -, kann der Figur des Mädchens, das so sein will wie Papa, in der Regie des 2009 Oscar-nominierten Spielmann kein Leben einhauchen. Auch nicht Wesselys Geliebte (Steffi Krautz), die aussieht wie ein nach Rauch und Parfum riechendes lila Plüschtier und - ganz Bardame von Beruf - Sätze sagt wie: "Diese Trockenheit ist ein Verderben, eine Last!"

Die Gattin Wesselys wiegt sich verträumt im Wohnzimmer zu Tangoklängen. Sie musste ihre Tanzkarriere für das halbseidene Alphamännchen aufgeben. Ihr gutbürgerliches Zuhause wird durch einen Luster kristallklar im düsteren Bühnenbild angekündigt (Bühne: Martin Warth). Von seinen "Weibergeschichten" weiß sie natürlich, schweigt aber stilvoll. Und wenn Claudia Martini als Lydia dann noch mit der Tochter über Liebe spricht, hört man im Geiste das Nebelhorn des "Traumschiffs" unheilvoll nahen. Überhaupt vernimmt man diese Dialoge zwar oft von Zuhältern, Bardamen, gelangweilten Ehefrauen und aufmüpfigen Töchtern - allerdings nur in schlechten TV-Serien, nicht im Leben, das der Autor als Schule seiner Protagonisten behauptet. Viele Themen werden nur angekratzt: der Sinn des Lebens, die Frau, ein von Männern imaginiertes Zwitterwesen von Heiliger und Hure, die Halbwelt als Spiegelbild der Gesellschaft und schließlich Einsamkeit. Denn letztlich sei es so, erklärt Wessely dem Geist einer toten Freundin (Verena Lercher), dass jeder allein in einer Zelle sitzt und an die Wand klopft. Manchmal klopft es zurück, doch nie weiß man, "was da drüben los ist" . Das ist Philosophie für Einzeller, nicht für höherentwickelte Theaterformen.

Dabei fragt man sich, wie man so großartige Filme wie Revanche drehen und dann am Theater so scheitern kann. Die Antwort liegt vielleicht in einem Satz voller Wahrheit, den Lydia Wessely ihrem Mann sagt: "Bleib bei dem, von dem du eine Ahnung hast." (Colette M. Schmidt, DER STANDARD/Printausgabe, 13./14.02.2010)