Freeman: Das größte Problem der USA ist die lokale Verschuldung.

Foto: Szigetvari

Banklobbyisten haben eine Finanzreform in den USA verhindert, sagt der Harvard-Ökonom Richard Freeman. Bei einem Treffen in Cambridge erklärte er András Szigetvari, warum er nun Pensionisten für die große Hoffnung Amerikas hält.

STANDARD: Als die Banken 2008 reihenweise kollabierten, versprach die Politik die Finanzwelt künftig besser zu regulieren. Was wurde bisher in den USA umgesetzt.

Freeman: So gut wie nichts. Die amerikanischen Banken haben jedes größere Gesetz erfolgreich bekämpft. Das beste Beispiel ist der Consumer Protection Bill, ein Gesetz, das Kunden vor Bankbetrügereien schützen sollte. Ich war überzeugt, dass das Gesetz durchkommt. Wer sollte schon gegen ein Antikorruptionsgesetz stimmen. Aber ich habe mich geirrt. Die Banken haben so massiv lobbyiert, dass das Gesetz im Kongress komplett verwässert wurde, einige Bestimmungen wurden sogar ins Gegenteil verkehrt.

STANDARD: Ein Beispiel. Freeman:Das Gesetz enthielt ursprünglich eine Passage, wonach jeder Bundesstaat und jede Stadt noch strengere Bestimmungen beschließen können sollte. Die neue Klausel sagt nun, dass kein Bundesstaat striktere Bestimmungen beschließen darf.

STANDARD: Was ist das Problem?

Freeman: Das Problem ist, dass der Druck auf die Banken in den USA bisher fast ausschließlich von der lokalen Ebene ausging. Vor allem die Generalstaatsanwälte in den einzelnen Bundesstaaten waren sehr aktiv. Damit müssen die Banken und ihre Lobbyisten künftig auch nur an einer Stelle, in Washington, Druck ausüben.

STANDARD: Das Ganze klingt fast zu simpel: Banken schicken Lobbyisten, die dafür sorgen, dass Gesetze umgeschrieben werden.

Freeman: Die Banken beschäftigen zwei bis dreitausend Lobbyisten. Es gibt mehr Lobbyisten als Kongressabgeordnete mitsamt ihren Stäben. Diese Leute sind sehr gut darin, sich einzelne Abgeordnete auszusuchen, die in den richtigen Ausschüssen sitzen, um die entscheidenden Klauseln zu verändern. Der zweite Punkt ist, dass Washington voll mit den Freunden der Banker ist. Finanzminister Tim Geithner spricht fast jeden Tag mit den Chefs der großen Banken. Geithner war Chef der New Yorker Notenbank, er kennt diese Leute von der Wall Street, er hält sie für seriöse Leute, nicht für hinterlistige Schlangen, obwohl sie genau das sind.

STANDARD: Allerdings sind viele Menschen wütend: Politiker, die auf die Banken einprügeln, könnten an Popularität gewinnen? Freeman:Jeder schimpft über die Banken. Aber trotzdem nimmt fast jeder Abgeordnete ihr Geld. Die Banker sind zurück mit derselben oder ähnlichen Menge Geld wie vorher, und sie machen dieselben Sachen. Ich meine, das muss man sich einmal vorstellen: Sie haben das Geld von der US-Regierung, vom Steuerzahler genommen und es den Lobbyisten gegeben, damit diese im Kongress gegen neue Regulierung kämpfen. Ich bin also sehr skeptisch, ob es eine große Reform gibt. Kleinere Schritte wird es wohl geben, und wenn wir Glück haben, werden die neu geschaffenen Institutionen bei der nächsten Krise tatsächlich gestärkt werden.

STANDARD: In Europa würde man jetzt Fragen: Wo ist die Linke, die dem Einhalt gebietet?

Freeman: Ich wär schon froh, wenn wir eine verantwortungsbewusste Rechte hätten. Hoffnungen setze ich in eine neu gegründete Organisation, in die Americans for Financial Reform. Der Gruppe gehören 200 Organisationen an, zumeist Konsumentenschützer, Umweltaktivisten. Aber, und das ist entscheidend, auch die American Association of Retired Persons. Dieser Verband zählt 30 oder 40 Millionen Mitglieder. Sie sind der größte Verband in den USA und haben beinahe so etwas wie ein Vetorecht bei allem, was Sozialgesetzgebung angeht.

STANDARD: Was halten Sie für die größte Bedrohung in den USA: die Arbeitslosigkeit, die hohen Schulden, neue Bankpleiten?

Freeman: Das große Problem, das die USA treffen wird ist, dass unzählige lokale Verwaltungen riesige Bilanzlöcher aufweisen. Viele Gemeinden werden Lehrer und Angestellte feuern müssen, weil sie kein Geld mehr haben. Aus Mangel an Mitteln werden wir auch Gefangene auf freien Fuß setzen. Der schlimmste Fall ist Kalifornien, das ist fast ein bankrotter Staat. Aber jeder Bundesstaat hat dieses Problem. Das wird zu einem Schock führen.

STANDARD: Warum?

Freeman: Was würden Sie über ein Land sagen, das Lehrer und Universitätsprofessoren inmitten der schärfsten Krise in der Nachkriegszeit entlässt? In einer Krise bei Bildung zu sparen, ist das Dümmste, was man tun kann. Wir tun das gerade. (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.2.2010)