Wien - Als Leiter des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek (ONB) nahm sich der 2008 verstorbene Germanist Wendelin Schmidt-Dengler (1942-2008) selbst jahrelang der Betreuung von Nachlässen an. Seit Februar wird am Literaturarchiv sein eigener Nachlass, den er zur Gänze der ONB vermacht hatte, aufgearbeitet, hieß es in einer Aussendung der ONB am Donnerstag.

Im Nachlass enthalten sind unter anderem Unterlagen zu Schmidt-Denglers Vorlesungen und Lehrveranstaltungen ab dem Jahr 1966, Materialien zu seinen zahlreichen Aufsätzen und Rezensionen - darunter Arbeiten zu Thomas Bernhard und Heimito von Doderer - sowie zahlreiche Gutachten zu literarischen und wissenschaftlichen Texten. Einen wichtigen Teil bildet darüber hinaus seine Korrespondenz mit Autoren, die nicht selten Schüler Schmidt-Denglers an der Universität Wien waren.

Dokumentierte Geschichte

Laut ONB dokumentiert "einer der wertvollsten Gelehrtennachlässe der 2. Republik" auch eine wichtige Periode österreichischer Kulturgeschichte und der politischen Geschichte ab Mitte der 1960er Jahre bis zum Jahr 2008. In diese Zeit fällt etwa die Studentenbewegung, eine Periode durchgreifenden gesellschaftlichen Wandels in Österreich in den 1970er Jahren und die Thematisierung der Mitschuld Österreichs an den NS-Verbrechen. Die Literatur habe an all diesen Prozessen und Diskussionen entscheidenden Anteil gehabt - der Skandal um Thomas Bernhards Stück "Heldenplatz" sei dabei nur das herausragendste Ereignis gewesen.

Biografie

Der als österreichischer "Literaturpapst" geltende Schmidt-Dengler wurde am 20. Mai 1942 in Zagreb geboren. Im Zentrum der Arbeit des vielfach ausgezeichneten Germanisten stand die österreichische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die Wirkungsforschung der Antike. Das Österreichische Literaturarchiv hat er zu einer der bedeutendsten Literaturinstitutionen im deutschen Sprachraum ausgebaut. 

Schwerpunkte seiner vielfach preisgekrönten Tätigkeit waren die Antikenrezeption seit dem Humanismus, die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts sowie die österreichische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, für die wohl kein Germanist mehr getan hat als er. Die enorme Spannbreite seiner Publikationen reichte freilich noch weiter - bis hin zu kulturkritischen Essays und universitätspolitischen Interventionen. Schmidt-Dengler wurde zum Wissenschafter des Jahres 2007 gewählt. (APA/red)