Um 10.15 Uhr ist im Hotel "Palestine" ein kräftiger Knall zu hören. Das Gebäude bebt, aber das tut es häufiger. Die Explosion erfolgte in einem der oberen Stockwerke, und es gibt mehrere Verletzte. Sie werden in aller Eile auf Wolldecken aus dem Hotel getragen und ins Krankenhaus gebracht. Sie sind blutig. Wie schwer sie verletzt sind, ist zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Erst später heißt es, zwei von ihnen seien tot.

Alle sind schockiert und rennen sofort los, um sich die Stelle anzusehen, an der das Gebäude getroffen worden war. Es ist im fünfzehnten Stock: die Zimmer 1503 und 1504, die Wohn- und Büroräume der Nachrichtenagentur Reuters. Es ist ein Bild der Zerstörung. Der Fernseher liegt mit der Bildfläche nach unten auf dem Bett: Blut ist auf dem Boden zu sehen, daneben zersplittertes Glas. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt im siebten Stock des Hauses auf der gegenüberliegenden Seite, ich blieb unverletzt.

Hotels an Ostseite des Tigris

Das Hotel liegt auf der Ostseite des Tigris. Augenzeugen sagen, es habe den Anschein, als sei das Gebäude von einer Artilleriegranate getroffen worden oder von einer Granate, die von einem Panzer abgefeuert worden sei. Das ist von innen nicht zu überprüfen. Erst später bestätigt ein US- General, dass einer ihrer Panzer das Hotel beschossen hat. Nach der Explosion beginnt es auf einem Balkon zu brennen, größere Schäden an dem Gebäude sind jedoch nicht entstanden.

Das Dröhnen der Bomben, an das sich die Einwohner Bagdads fast schon gewöhnt haben, wird von etwas Schärferem, Näherem übertönt: Raketen, Granaten, Kanonen, Salven aus Maschinengewehren. Der Krieg ist im Herzen von Bagdad angekommen.

Vor dem Angriff auf das Hotel "Palestine" luden zwei Männer in den grünen Uniformen der Baath-Partei zum Tee ein. "Jetzt müssen alle für unser Land kämpfen. Ich patrouilliere in der Stadt und sorge für Sicherheit", sagt er. "Wir sind nicht zu schlagen, weil wir an unseren Führer glauben. Wir kämpfen mit Herz und Seele."

Wie würden Sie reagieren

Ob er etwas fragen dürfe, wendet er sich an die Journalisten: "Wenn wir das Bild einmal umdrehen: Wie würden Sie reagieren, wenn irakische Truppen Ihr Land angreifen würden? Wenn wir versuchen würden, Ihren Präsidenten zu ermorden und Ihnen unsere Führer und unser System aufzuzwingen? Wie würden Sie reagieren, wenn wir Ihre Strom- und Wasserversorgung lahm legten und Ihre Nachbarn umbrächten?" Antwort erwartet er ohnehin keine.

Um die Ecke von Mazins Teehaus befinden sich ein paar Gemüseläden, die immer noch geöffnet sind. Die Kunden drängen sich, als würden sie denken, dass das vielleicht der letzte Tag ist, an dem sie noch etwas Frisches bekommen können. Vor der Bäckerei sind zwei lange Schlangen, eine für Männer und eine für Frauen. "Es ist nicht gut, wenn Männer und Frauen in einer Schlange anstehen", erklärt mir eine Frau etwas verlegen.

Ganz hinten in der Frauenschlange steht Khawa. Sie hat ihre siebenmonatige Tochter auf dem Arm. "Zina ist die Einzige, die nachts schläft. Die älteren Kinder haben Todesängste", erzählt sie. "Ich hoffe, dass das alles vorbei ist, ehe sie alt genug ist, um das zu verstehen." (DER STANDARD, Printausgabe, 9.4.2003)