Kramar erinnert sich an seinen Opernball-Auftritt. "Ich bin kein Provokateur, ich werde provoziert. Da sind lauter Verbrecher in hohen Staatsämtern."

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Kramar über Jörg Haider und seine Mitstreiter: "Wenn solche Leute ihrem Parteichef gegenüber den Mund halten, sind sie auf seiner Seite."

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Schauspieler Kramar: "Was ist dieser Hitler in mir?"

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Theatermacher Kramar über den politischen Diskurs in Österreich: "Der 'Club 2' ist so, als würde man die Gitter hochziehen und die Löwen loslassen."

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Kramar verweigerte Ex-Minister Grasser vor und nach der ORF-Sendung den Handschlag.

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Feindbild von FPÖ und "Kronen Zeitung": "Ich bin einer von denen, die Angst haben müssen."

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Hubsi Kramar sitzt im Café Eiles und hat die ganze Tasche voller Zeitungen, über die er sich aufregt. Was ihn am meisten empört: "Dass ein Politiker öffentlich sagen kann, wenn er gewählt wird, müssen Leute Angst vor ihm haben." In seinen Inszenierungen – oft nicht in Theaterhäusern, sondern auf öffentlicher Bühne – kritisiert er die Verfasstheit von Politik und Medien. Vor zehn Jahren machte der Schauspieler international Schlagzeilen, als er im Hitler-Kostüm die Gäste des Wiener Opernballs schreckte. "Ich brauchte nur 30 Sekunden. Damit die Medien ihr Bild haben." Vergangene Woche musste er sich im "Club 2" nicht nur gegen die Tücken der Medienlogik, sondern auch gegen Karl-Heinz Grasser wehren – bis nach der Sendung.

derStandard.at: Vor zehn Jahren haben Sie als Adolf Hitler verkleidet den Opernball besucht. Er findet am Donnerstag wieder statt. In welche Rolle schlüpfen Sie heuer?

Kramar: Ich würde nur hingehen, wenn mich der Lugner einlädt. Dann komm ich als Busenwunder. Das würd' mir taugen. Und auf einmal, mitten drinnen, wenn die Kameras auf mich gerichtet sind, werf' ich meinen Busen ab und schlag irgendeinen Kardinal mit einem Penis. Das ist zwar etwas Blödes, aber es würde einen sehr starken symbolischen Charakter haben, sodass es unbewusst im Volk aufregen kann.

derStandard.at: Die Aktion vor zehn Jahren in der Staatsoper war als Reaktion auf die schwarz-blaue Regierung gedacht. Haben Sie mit der Aktion erreicht, was Sie wollten? Und was war das?

Kramar: Wir waren ein paar Leute, und das hat sich damals so ergeben. Den Hitler habe ich schon 1998 in "Nazis im Weltraum" gespielt. Das Kostüm hatte ich also schon. Was da wieder aufgebrochen ist: Fast dreißig Prozent haben die FPÖ gewählt und das so kurz nach dem Austrofaschismus und dem Nazifaschismus. Das ist in Österreich präsent, das ist erschreckend. Und auf dem Opernball herrscht eine gewisse Perversität. Es treffen sich die Spitzen der Gesellschaft, und draußen finden immer die Opernball-Demos statt, wo die Polizei die Demonstranten zusammengeklopft. Das sind fürchterliche Projektionen. Und innerhalb der Projektionen ist das ein symbolischer Akt gewesen. Manche Ewiggestrigen haben mich wirklich als Hitler gesehen, auch beim Reingehen.

derStandard.at: Sie sind dann auch gleich festgenommen worden.

Kramar: Nicht gleich. Ich bin rein und prominente Opernballbesucher haben "Heil Hitler" zu mir gesagt, weil es offensichtlich Leute in der österreichischen Gesellschaft mit einer nazifaschistischem Kodierung gibt. Dann war da die Stiege, wo die Mädchen gestanden sind, die auf den Klestil (damaliger Bundespräsident, Anm.) gewartet haben. Er musste aber hinter uns warten, weil wir unser Auto so präpariert hatten, dass es nicht starten konnte. Der richtige Auftritt für einen Führer ist zwischen kleinen Mädchen, Blumen und so. Da sind dann die Polizisten über mich hergefallen und haben mich in ihr Auto gebracht, sich auf mich draufgesetzt. Da wird man dann ziemlich rüde behandelt.

derStandard.at: Es wird kolportiert, sie hätten die Reporter als "Volksgenossen" begrüßt und erklärt, dass Sie jetzt "wieder da" seien. Hätten Sie noch mehr vorgehabt, wenn Sie nicht nur bis zur Feststiege gekommen wären?

Kramar: Ich habe mit gar nichts gerechnet. Ich hab' keinen Plan A, B oder C. Bei so viel Polizei war aber klar, dass es Schwierigkeiten geben wird. Dass ich überhaupt so weit gekommen bin! Mir waren die 30 Sekunden für die Medien wichtig. Ich hab' gewusst, es muss ein Bild für die Medien sein.

derStandard.at: Die internationalen Medien haben das damals auch sehr dankbar angenommen.

Kramar: Ich war verkabelt mit "Spiegel TV", sie haben einen Kameramann bei uns im Auto gehabt. Das Ganze war schon auf gewisse Art vorbereitet.

derStandard.at: Was wurde aus der Anzeige der Wiener Staatspolizei wegen Verdachts der Wiederbetätigung im Sinne des Verbotsgesetzes?

Kramar: Leider nichts. Der verantwortliche Polizist war sehr traurig, dass ich nicht eingedümpfelt wurde. Aber es war Fasching, Theater, und Hitler ist schon lang tot. Außerdem bin ich 1,90 Meter groß, Hitler war nur 1,50 Meter.

derStandard.at: Auch der Mann, der Sie im Rolls Royce vor die Oper brachte, wurde angezeigt. Wer war Ihr Chauffeur?

Kramar: Der Künstler nennt sich Poeter Siegl. Ihm gehörte auch das Auto. Er verleiht Filmrequisiten.

derStandard.at: Ab Ende Februar spielen Sie wieder Adolf Hitler im Theater in der Josefstadt in einem Stück von Franzobel über den Schauspieler Hans Moser. Warum dauernd diese Rolle?

Kramar: In der jüngeren Geschichte hat mich das Verbrechen des Holocaust immer interessiert: was die Wurzeln sind und wie es zu solchen Verbrechen kommt. Der Hitler ist ein Künstler gewesen, der Haider wollte auch eigentlich Schauspieler werden. Und das ist alles auch in mir. Es geht nicht darum, dass man einen Sündenbock hat, den man in die Wüste jagt und dann ist alles in Ordnung. Wir tragen selber alles in uns. Es hilft uns nicht, dem Täter irgendeine Schuld zuzuschieben. Viel interessanter ist es, das in Zukunft für einen selber zu vermeiden. Was ist dieser Hitler in mir? Was ist dieses Monster, das Menschenfeindliche in mir?

derStandard.at: Woher kommt diese Sehnsucht nach Provokation?

Kramar: Ich bin kein Provokateur, ich werde provoziert. Da sind lauter Verbrecher um mich in hohen Staatsämtern, die kassieren dauernd und ich bin dann ein Provokateur? Das ist ja lächerlich. Es ist ja eine Schweinerei, was tagtäglich passiert.

derStandard.at: Von wem fühlen Sie sich provoziert?

Kramar: Von Religion, vom Staat. Es gibt lauter 'Kapital‘-Verbrechen. Jetzt mit den Banken ist das ein schöner Begriff. Und es gibt die Gefahr des Herrn Strache (FPÖ-Obmann, Anm.). Schüssels Aussage, man hätte mit Schwarz-Blau den Haider besiegt, ist ja ein völliger Schwachsinn. Strache sagt, wenn er gewählt wird, müssen Leute Angst vor ihm haben.

derStandard.at: Sagt Strache nicht vor allem, Bürgermeister Michael Häupl müsse vor ihm Angst haben?

Kramar: Nein, er sagt, die Unanständigen. Ich bin einer von denen, die Angst haben müssen. (Kramar zieht aus der Tasche eine Broschüre der Wiener FPÖ, in der darauf hingewiesen wird, wie viel Kramar an Kultursubventionen erhält.) Dass in so einer Situation der Bundeskanzler, der Bundespräsident oder der Bürgermeister nicht aufsteht und sagt: Das geht nicht!

derStandard.at: Vergangenen Mittwoch saßen Sie mit den Ex-FPÖ-Ministern Karl-Heinz Grasser und Herbert Scheibner im "Club 2" und sprachen von "faschistoiden und faschistischen Menschen in Führungspositionen" ...

Kramar: Da habe ich dieses neoliberale Modell gemeint. Der Kapitalismus in der letzten Konsequenz ist immer Faschismus. Die soziale Krise führt letztlich in den Krieg.

derStandard.at: Ja, aber wenn Sie im "Club 2" mit Grasser und Scheibner sitzen, die ja als gemäßigte Vertreter ihrer Partei gelten ...

Kramar: Ja, was heißt gemäßigt! Sie haben ja nie gesagt: "Moment, Herr Haider!" Was ist das für eine Mäßigung, wenn ich bei einer Partei bin, deren Häuptling sagt, ein KZ sei ein Straflager und das Dritte Reich habe eine ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht. Dann muss ich doch sagen: "Entschuldigung, Herr Haider, das waren einfach Folterkammern und Vernichtungslager!" Das muss ich doch als anständiger Mensch dokumentieren, wenn ich irgendwo eine Haltung habe. In dem Moment, wo solche Leute ihrem Parteichef gegenüber den Mund halten, sind sie eigentlich auf seiner Seite.

derStandard.at: In Ihren Aktionen bringen Sie Hitler mit Haider oder auch mit Strache in einen Zusammenhang. Ist das nicht eine Vereinfachung, die Ihren Gegnern Munition liefert?

Kramar: Sie haben im Grunde genommen Recht. Das wäre eine Vereinfachung, weil der Haider nicht Hitler ist. Es geht da mehr um ein Angstreservoir und um Reflexe. Nehmen wir zum Beispiel den "Club 2". Da hat man ja keine Möglichkeit etwas zu sagen. Der Schneyder ("Club 2"-Moderator Werner Schneyder, Anm.) war so, als würde er die Gitter hochziehen und die Löwen loslassen.

derStandard.at: Sie lassen sich also auf die Vereinfachung und Zuspitzung bewusst ein – aus Platz- und Zeitgründen?

Kramar: Das ist nun einmal ein Problem, das nicht zu lösen ist. Im "Club 2" war meine Priorität von der vertrottelten Sanktionsgeschichte wegzulenken und ein paar Zahlen vorzulesen, die klarmachen, wozu diese neoliberale Politik führt. Zum Beispiel zum Auflösen von sozialen Netzen.

derStandard.at: Sie sind Schauspieler, Regisseur, Aktionist. Sie tun also lauter Dinge, die auch Politiker beherrschen müssen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, in die Politik zu gehen?

Kramar: Erstens ist jeder Mensch ein politisches Wesen. Zweitens glaube ich, dass die Politik uns sehr stark beeinflusst. Drittens sage ich: Wenn ich jetzt Politik machen würde, müsste ich so viele Kompromisse machen, dass ich mich nicht in den Spiegel schauen könnte. Ich kann also nicht Politiker werden, weil ich mich da gleich erschießen kann. Da müsste ich all das tun, was ich heute an einem Politiker kritisiere.

derStandard.at: Gibt es für Sie einen idealen Politiker?

Kramar: Den kann's gar nicht geben. Und gerade in unserem politischen Klima muss ein Politiker schauen, wie er am meisten Wählerstimmen bekommt. In Österreich muss ein Politiker schauen, was in der "Kronen Zeitung" steht. Ich muss mit meinem Niveau, wie der André Heller gesagt hat, unter der Ferse bleiben. In Österreich muss man sich dermaßen verleugnen.

derStandard.at: Das bleibt Ihnen in Ihrem Beruf erspart.

Kramar: Ja. Der Grasser wollte mir vor dem "Club 2" die Hand geben. Ich hab' gesagt "Herr Grasser, nein!" Nach der Sendung kommt der Grasser noch einmal: "Herr Kramar, jetzt geben'S mir bitte die Hand." Ich hab' gesagt, das kann ich nicht, bei dem, was Sie angerichtet haben, und bei Ihren Freunden. Das war eine Szene von fünf Minuten. (lacht) Und er hat gesagt, es wird mir schlecht gehen, wenn ich ihm nicht die Hand gebe. Ich hab' ihm gesagt, ich glaube das nicht, aber wenn ich Ihnen die Hand gebe, vielleicht kriege ich einen Ausschlag. (Lukas Kapeller, Rosa Winkler-Hermaden/derStandard.at, 10.2.2010)