Wirtschaftsforscher Igor Burakowski: "Regierung muss sehr unpopuläre Maßnahmen ergreifen."

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Das am Sonntag gewählte neue ukrainische Staatsoberhaupt erwarten in diesem Jahr nach einem harten Wahlkampf zahlreiche politische und wirtschaftliche Herausforderungen. Die Gefahr eines Staatsbankrotts ist in der von der Wirtschaftskrise stark gebeutelten Ukraine nach wie vor nicht gebannt.

Zwar machen sich laut Igor Burakowski, Direktor des Kiewer Instituts für Wirtschaftsforschung und Politikberatung, bereits erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung bemerkbar. Der Wirtschaftsforscher bezweifelt allerdings, dass die Erholung nachhaltig ist. Das größte Problem stelle noch immer die öffentliche Finanzlage dar. "Im Gegensatz zu anderen Ländern hat die Ukraine in der Krise die Ausgaben nicht gekürzt" , sagt Burakowski. 2009 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Ukraine um 15 Prozent gesunken, die Ausgaben legten um mehr als ein Drittel zu.

Ein Umdenken zeichnet sich allerdings auch jetzt nicht ab. Beide Präsidentschaftskandidaten, Wiktor Janukowitsch und Julia Timoschenko, haben im Wahlkampf großspurig versprochen, Pensionen und Gehälter zu erhöhen. Burakowski glaubt allerdings nicht, dass diese Wahlversprechen auch tatsächlich umgesetzt werden, da die Sozialpolitik laut Verfassung gar nicht in der Verantwortung des Präsidenten, sondern in der des Parlaments liegt.

"Der Regierung muss bewusst sein, dass sie einige sehr unpopuläre Maßnahmen ergreifen muss, um das Land aus der Krise zu führen" , sagt Burakowski. Dazu gehört etwa die längst anstehende Erhöhung der Gaspreise auf dem Inlandsmarkt. Noch ist aber völlig offen, wer überhaupt nach der Präsidentenwahl in der Regierungsverantwortung sein wird. Ukrainische Politologen gehen zumindest von einer neuen Koalition oder sogar Neuwahlen aus.

"Die Präsidentenwahl wird den politischen Konflikt im Land nicht lösen können. Das Jahr 2010 ist für Reformen so gut wie verloren" , ist Burakowski überzeugt. Er rechnet damit, dass die Regierung erst in der zweiten Jahreshälfte wieder handlungsfähig ist und dann die abgebrochenen Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds aufnehmen wird. Der IWF hatte der Ukraine einen Notkredit in Höhe von 16,4 Milliarden US-Dollar zugesagt, um die Zahlungsunfähigkeit des Landes zu verhindern. Nachdem sich die Ukraine aber nicht an die Sparvorgaben des IWF hielt, stellte der Fonds die Auszahlung der zweiten Tranche ein.

Ein großes Problem stellen auch die Auslandsschulden der Privatwirtschaft dar. Ukrainische Banken und Unternehmen stehen im Ausland mit 80 Mrd. US-Dollar in der Kreide. "Es ist zwar gelungen, viele Kredite zu restrukturieren, aber auch die müssen bedient werden" , sagt der Kiewer Ökonom. Viele ukrainische Unternehmen werden derzeit zum Ziel von Schnäppchenjägern - vor allem aus Russland. So haben sich gerade russische Oligarchen in einen der größten ukrainischen Stahlproduzenten, Industrial Union of Donbass (ISD), eingekauft.

Die von beiden Präsidentschaftsanwärtern angestrebte Verbesserung der Beziehungen zu Russland steht nicht im Widerspruch zur laufenden Annäherung an die EU. "Die ukrainischen Geschäftsleute sehen das ziemlich pragmatisch. Sie wollen ihre Waren sowohl in Europa als auch in Russland verkaufen" , sagt Burakowski. (Verena Diethelm aus Kiew, DER STANDARD, Printausgabe 8.2.2010)