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Die Zunge nimmt eine wichtige Rolle bei der Diagnose von Krankheiten ein.

Foto: AP/Ric Francis

Schlucken, schmecken, reden: Die Zunge erfüllt viele wichtige Aufgaben im alltäglichen Leben. Sie ist für unser Geschmacksempfinden verantwortlich, transportiert die Nahrung im Mund und ist für die Lautbildung unverzichtbar. Aber das ist noch nicht alles, sie ist auch eine Art Spiegel unseres Gesundheitszustandes. Sowohl in der westlichen als auch der östlichen Medizin nimmt die Zunge eine wichtige Rolle bei der Diagnose von Krankheiten ein. Verändert sich das feuchte, rosafarbene Organ mit leicht weißlichem Belag, kann dies auf eine Veränderung der gesundheitlichen Konstitution hindeuten.

Haarzunge, Lackzunge, Himbeerzunge

Schulmedizinisch wird die Zunge meist auf Farbe, Größe, Belag und Befeuchtung kontrolliert. So kann eine geschwollene Zunge ein Zeichen für eine Schilddrüsen-Unterfunktion sein, eine intensiv rote Verfärbung der Zunge ("Himbeerzunge") als Hinweis für eine Infektions-Krankheit wie Scharlach gedeutet werden und eine rote Zunge, die lackartig glänzt ("Lackzunge") kann auf eine Lebererkrankung hinweisen.

Die Zunge kann sich aber auch ohne kausale Ursache verändern bzw. spielt manchmal die Vererbung eine Rolle: So etwa die Landkarten-Zunge, die durch rote Flecken mit einem weißlichen Saum gekennzeichnet ist. Auch wenn die Entstehungsursache der Landkarten-Zunge nach wie vor nicht eindeutig bekannt ist, wird ein genetischer Hintergrund vermutet. Bei der "schwarzen Haarzunge" sind die hinteren fadenförmigen Papillen verlängert und schwarz verfärbt - die Zunge sieht daher wie mit schwarzen Haaren besetzt aus. Diese Veränderung kann Folge einer starken Besiedlung mit Bakterien oder eines Vitaminmangels sein und tritt vereinzelt im Zusammenhang mit Antibiotika-Einnahme auf, verschwindet aber meist nach einigen Wochen oder Monaten wieder.

Der hausärztliche Blick in den Mund dient aber häufig nur der Begutachtung des Rachenraums und der Mandeln; die vom Spatel hinunter gedrückte Zunge wird dabei verdeckt und kaum beachtet.

Zungendiagnostik nach TCM

In der ganzheitlichen Medizin wie der chinesischen, indischen oder tibetischen, nimmt die Zunge eine noch wichtigere Rolle ein, als in der westlichen. Die genaue Betrachtung der Zunge ist gemeinsam mit der Anamnese und dem Fühlen des Pulses ein wesentliches diagnostisches Mittel.

Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) setzt jede Zone der Zunge mit Funktionskreisen, die jeweils mehrere Organe enthalten, in Bezug. Topografisch wird die Zunge dafür gedrittelt: "Das erste Drittel entspricht dem Funktionskreis Lunge, das mittlere dem gesamten Verdauungstrakt und das hintere Zungendrittel, die Zungenwurzel, steht für den Urogenitaltrakt, dem Harn- und Geschlechtsorgane angehören. Dazu kommt noch die Zungenspitze, die dem Funktionskreis Herz entspricht", erklärt Sonja Laciny, Fachärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie TCM-Ärztin.

Prinzipiell beurteilen TCM-Ärzte den Zungenkörper, nämlich dessen Größe, Form, Farbe und Belag, weiters die Ränder und die Zungenunterseite samt Venen, erklärt Laciny. Je nach dem, wo und wie sich eine Veränderung auf der Zunge zeige, gebe dies einen Hinweis darauf, in welchem Körperareal eine Funktionsstörung oder krankhafte Veränderung vorliege.

Vernetzte Zunge

Warum sich Krankheiten auf der Zunge zeigen können, wird meist mit dem Verlauf von Nervenbahnen erklärt. Die Zunge ist über vier Nerven mit dem Gehirn und zugleich auch mit inneren Organen verbunden. Diese sind für die Empfindung von Geschmack, Hitze und Kälte, Schmerz sowie für die Bewegung verantwortlich. Damit ist die Zunge mit vielen Körperregionen vernetzt - Krankheiten können deshalb Spuren auf dem beweglichen Organ hinterlassen.

"Natürlich kann man es schulmedizinisch über diese Verbindung erklären. Die TCM sieht dies nicht so analytisch und verfolgt keine Nervenbahnen", ergänzt Laciny. "Die chinesische Medizin ist 5.000 Jahre alt, zu dieser Zeit hatte man noch keine Ahnung von Nervenbahnen." Interessant sei aber, dass die TCM damals bereits Zusammenhänge durch lange Beobachtungen von Vorgängen im Körper sehen konnte, auch wenn sie anatomische Verknüpfungen noch gar nicht kannte. "Es gibt im Körper mehrere Areale, sogenannte Mikrosysteme wie Ohrmuschel, Fußsohle oder Zunge, die Entsprechungen von Organen zeigen, auf denen gewissermaßen der gesamte Mensch abgebildet ist", erklärt die TCM-Ärztin. Die meisten dieser Mikrosysteme werden sowohl zur Diagnose, als auch zur Behandlung, etwa durch Akupunktur, genutzt. "Bei der Zunge nimmt die Diagnose aber eine weitaus wichtigere Position ein, als die Behandlung, da eine Akupunktur relativ schmerzhaft ist", so Laciny. (derStandard.at, 10.02.2010)