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Wer stehend k.o. ist, sitzt besser. Robert Del Naja (li.) und Grant Marshall alias Massive Attack hinken hinter sich selbst her.

Foto: REUTERS/Kacper Pempel

Und es fällt schwer zu glauben, dass die Welt darauf gewartet hätte.

Wien - Schon der Opener klingt, als wären Massive Attack stehend k.o. Vergleicht man dieses Lied, Pray For Rain, mit jenem, das 1998 ihr Album Mezzanine eröffnet hat, möchte man weinen. Damals ein seduktives Kraftfeld, das einen vom ersten Moment an in ein dunkles Universum gezogen hat, geheimnisvoll, düster und verwegen. Zwei Alben später klingen Massive Attack wie eine Regionalliga-Ost-Version ihrer selbst. Da hilft auch der prominente Gastsänger Tunde Adebimpe von der US-Band TV On The Radio nichts, der sich höflich durch Pray For Rain langweilt.

Die gute Nachricht: Es wird besser. Ein bisschen. Muss es nach diesem Einstand ja auch. Aber es mutet seltsam an, dass die britischen Mitbegründer des die 1990er sehr dominierenden Trip-Hop-Stils ihr neues Album Heligoland (ab Freitag, bei EMI) mit einer derartigen Belanglosigkeit eröffnen. Zumal Robert Del Naja, der kreative Kopf des aus Bristol stammenden Projekts, zurzeit oft stolz davon erzählt, ein bereits fixfertiges Album gänzlich entsorgt zu haben, weil er damit nicht zufrieden war. Dieses Stück dürfte er vergessen haben.

Sinistre Texte

Die 1988 gegründete Formation war eine der ersten, die mit einer abgebremsten Dancefloor-Spielart, die zentrale Stile wie Dub aufgesogen hatte, mit sinistren Texten versahen und in eine bis dahin ungehörte Ästhetik überführten. Weitgehend unbedankte Vorarbeit leistete Adrian Sherwood mit seinem Label On-U Sound, der bis heute Mark Stewart produziert, ein Freund von Massive Attack und ein Pionier dieser Musik. Man höre nur dessen Stranger Than Love von 1987! Da war alles schon angerichtet.

Mit ihrem Debüt Blue Lines von 1991 gelang Massive Attack ein Meilenstein. Ein modernes Soul-Album, auf dessen Cover der Bandname aus Protest gegen den ersten Golfkrieg und aus Pietät gegenüber seinen Opfern kurzfristig auf "Massive" verknappt wurde. Es folgten zwei weitere Großtaten: Protection (1994) und erwähntes Mezzanine. Im Jahr 2003 hätte es für den damals im Alleingang operierenden Del Naja eine gute Gelegenheit gegeben, das Album 100th Windows ebenfalls zu entsorgen, allein - es ist erschienen. Nun hat sich Del Naja mit dem zweiten wichtigen Protagonisten Grant Marshall bis auf Widerruf versöhnt und sucht Anschluss an die eigene Vergangenheit. Dafür wird eine Riege Prominenter von Martina Topley-Bird (Tricky) über Hope Sandoval (Mazzy Star) bis Damon Albarn (Blur, Gorillaz ...) oder Guy Garvey von Elbow bemüht. Alle zündeln ehrbar, aber Funken springen keine über.

Del Naja und Marshall produzieren weiter ihre dunklen, von treibenden Bassläufen transportierten Stimmungen, aber es wirkt amtlich, blutleer und mitunter - noch einmal Pray For Rain - fast lachhaft. Auch Horace Andy, ein Wegbegleiter und Sänger im Massive-Universum sowie ein Goldkehlchen vor dem Herrn, kann hier nicht mehr tun, als mit Girl I Love You ein nostalgisches Zwischenhoch zu bieten.

Dann wird es länglich. Der Versuch, sich in die Atmosphäre des Albums einzugrooven, wird immer wieder von hölzernen Passagen vereitelt, auch die ansonsten herzig schlafwandelnde Hope Sandoval, die eigentlich dazu prädestiniert wäre, stimmungsaffine Tupfer in diesen Klangkosmos zu setzen, wirkt mäßig inspiriert.

Am Schluss eine Single

Erst die letzte Nummer, ein vom Chefkoch selbst kredenztes Stück mit dem Titel Atlas Air, schiebt endlich einmal an, lässt mit fetten Midtempo-Beats aufhorchen. Früher wurde so etwas als Single veröffentlicht. Heute muss man dafür ein ganzes Album mitnehmen. Massive mistake! (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.2.2010)