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Filmemacher Jason Reitman: "Ich gehe sehr methodisch vor."

 

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George Clooney fliegt in Jason Reitmans Tragikomödie "Up in the Air" um sein Glück - Von Dominik Kamalzadeh

Foto: AP

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Reitman: Sie meinen den Mann, der den Song Up in the Air im Abspann singt? Ich habe an einer Universität in St. Louis gesprochen, und da kommt dieser Mann auf mich zu, ungefähr fünfzig Jahre alt, und drückt mir etwas in die Hand. Es ist nicht der beste Song aller Zeiten, aber er bringt sehr authentisch herüber, was es heißt, den Job verlieren und nicht so recht weiterzuwissen. Über eine Million Menschen in Amerika haben im letzten Jahr ihren Job verloren. Wir sehen das meist nur als eine Zahl, wir sehen keine Gesichter.

Standard: Der Titel hat eine wörtliche Bedeutung und eine im übertragenen Sinn: Wann ist man "Up in the Air" ?

Reitman: Wenn man fliegt, oder wenn man gerade keinen Plan hat.

Standard: In der Buchvorlage von Walter Kirn geht es vor allem um diesen Zustand der Ortlosigkeit, den Vielflieger kennen. Was haben Sie für den Film dazuerfunden?

Reitman: Beide Frauenfiguren, also Alex und Natalie. Die Hochzeit, die Rucksackrede, die Pappfiguren, und die Tatsache, dass das Kündigungsgeschäft auf Online umgestellt wird.

Standard: Die beiden Frauenfiguren machen aus "Up in the Air" auch so etwas wie eine romantische Komödie.

Reitman: Ja, aber vor allem wollte ich Ryan Bingham mit seiner Lebensphilosophie herausfordern - die eine Frau involviert ihn romantisch, die andere als eine Ersatztochter. Ich habe Natalie immer als Ryans Kind gesehen.

Standard: George Clooney geht auf eine sehr interessante Weise mit dieser Rolle um - er sieht besser aus denn je, ist aber auch verwundbarer als gemeinhin.

Reitman: Er macht Ryan Bingham menschlich, eine Figur, die man leicht karikieren könnte. Ich will seinen Lebensstil nicht einfach der Lächerlichkeit preisgeben, ich will ihn als reale Figur zeigen. Er zeigt, dass man allein leben kann - ein Konzept, das Hollywood normalerweise nicht plausibel findet. Clooney sollte aber auch nicht der typische Junggeselle sein, als der er oft erscheint: Das letzte Mal, dass er sich in einem Film verliebt hat, war in Jennifer Lopez in Out of Sight, vor zehn Jahren.

Standard: Eine Frage zur Besetzung: Danny McBride ist eine der tollsten Entdeckungen der letzten Jahre. Wie kamen Sie auf ihn?

Reitman: Ich habe ihn in All the Real Girls von David Gordon Green gesehen, er war da so aufrichtig, dass es mich überrascht hat, dass er inzwischen fast immer als überdrehter Komiker besetzt wird. Ich habe ihn noch einmal dorthin zurückgebracht, wo ich ihn gefunden habe. Ich habe beim Schreiben immer schon die Schauspieler vor Augen gehabt, dadurch findet beim Drehen ein Austausch statt, der dem Film anzusehen ist.

Standard: Wie führen Sie Regie? "Up in the Air" wirkt bis Details durchgeplant.

Reitman: Ich gehe sehr methodisch an das Drehen heran. Ich habe immer eine Kamera dabei, wenn ich an einen Drehort komme, und fotografiere selbst jede Perspektive. Meine Cutterin und ich verstehen einander sehr gut, schon seit meinen frühen Kurzfilmen. Ich arbeite mehr am Schnitt, sie arbeitet mehr an den Dialogen. Ich bin beim Schneiden wirklich rücksichtslos: Ich schneide jedes Gramm Fett weg. Ich habe ein Gefühl für Tempo.

Standard: Vor "Up in the Air" haben Sie "Juno" gemacht, der sich als sehr erfolgreich erwies, obwohl die Welt dieser jungen Frau bis in kleinste sprachliche Details sehr eigen ist. Wie lag Ihnen das?

Reitman: Diablo Cody hat das so geschrieben, dass darin viele Worte und Sätze vorkamen, die ich noch nie gelesen hatte, die ich aber sofort verstand. Ich habe mich ein bisschen an Clockwork Orange erinnert gefühlt, an ein Wörterbuch, das sich selbst erklärt.

Standard: Die Finanzkrise wirkt sich auch in Hollywood aus, und zwar gerade auf Filme wie "Up in the Air" . Ihre Position?

Reitman: Ich bin dazwischen, ich mache unabhängige Filme mit Studiogeld. Die meisten Filme sind heute für Kinder, ich arbeite für Erwachsene. Ich brauche für meine Sachen nicht wahnsinnig viel Geld, aber ich will Freiheit.

(Bert Rebhandl, DER STANDARD/Printausgabe, 02.02.2010)