Standard: Wie beurteilen Sie die Affäre der EU-Sanktionen gegen Österreich aus der Distanz von zehn Jahren?

Védrine: Ich hielt nie besonders viel von dieser Maßnahme. Gewiss vertrat ich loyal die Position der französischen Regierung. Aber ich fand stets, dass die Beunruhigung übertrieben war und dass man zu weit ging mit den Reaktionen vonseiten der EU. Die österreichische Regierung verhielt sich zudem recht geschickt, sodass die Gegenmaßnahmen ins Leere liefen.

Standard: Stellt die extreme Rechte denn keine Gefahr in Europa dar?

Védrine: Auf jeden Fall nicht wie im 20. Jahrhundert. Die Rechtsextremen sind in Europa nur unter sehr speziellen Bedingungen gefährlich - etwa nach den Versailler Verträgen und in einer Wirtschaftskrise, gegen die die betroffenen Regierungen nicht wussten, was sie unternehmen sollten, während es auch keine Sozialversicherung gab. Das hat mit dem heutigen Europa nichts zu tun. Heute besteht die extreme Rechte aus einem oder zwei Prozent Wirrköpfen und dazu vielen Unzufriedenen. Es ist natürlich moralisch richtig und sympathisch, dagegen zu mobilisieren. Aber was gegen Wien unternommen wurde, war unverhältnismäßig.

Standard: Was hätte man denn tun sollen?

Védrine: Allgemein bin ich der Auffassung, dass man besser daran täte, die extreme Rechte und ihre absurden Positionen lächerlich zu machen, als laut dagegen anzuschreien. Das nützt ihnen nur, da sie dann in die Opferrolle schlüpfen können. Der Front National ist in Frankreich stark darin. Denn sonst stellt er nicht viel dar: Sobald er irgendwo regiert - bisher in einigen südfranzösischen Städten -, hat er sich lächerlich gemacht. (Stefan Brändle/DER STANDARD-Printausgabe, 2. Feber 2010)