Für Wolfgang Schüssel, Kanzler der schwarz-blauen Koalition, gibt es nichts zu rechtfertigen. "Es war so, und ich stehe dazu." Im Gespräch mit dem Standard  rechnet er mit den Sanktionen der EU-14 ab - und bereut einen einzigen Satz.

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DER STANDARD: Sie haben sicher die Berichterstattung anlässlich des zehnten Jahrestages der schwarz-blauen Regierung und der Verhängung der Sanktionen verfolgt. Fühlen Sie sich gerecht beurteilt?

Schüssel: Das ist eine unzulässige Frage. Das sollen die Journalisten bewerten, und die Leser werden sich selbst ihr Urteil bilden. Das ist Geschichte, für mich ist das Kapitel erledigt. Wenn ich irgendetwas dazu beitragen kann, um das eine oder andere aufzuhellen, in Ordnung, aber ich brauche nichts verteidigen, ich brauche nichts rechtfertigen, es war so und ich stehe dazu.

DER STANDARD: Dieses Kapitel scheint aber noch längst nicht aufgearbeitet zu sein, da schwirren jede Menge Thesen und Verschwörungstheorien herum. Sie selbst hatten damals eine sozialistische Verschwörung aufgeworfen, die zur Verhängung der Sanktionen geführt habe. Das wird je nach Sichtweise sehr unterschiedlich erzählt. Was ist denn Ihre Fassung?

Schüssel: Das ist vollkommen klar. Von den Sanktionen erfuhr ich durch ein Telefonat am 31. Jänner. Der damalige portugiesische Außenminister hat mich von den Maßnahmen der EU 14 gegen uns informiert. Ich hatte mit ihm eine sehr heftige Auseinandersetzung, habe ihm gesagt, dass die Sanktionen vollkommen ungerechtfertigt sind, dafür gibt es weder eine rechtliche Basis noch sonst etwas.

DER STANDARD: Andreas Khol berichtet im Standard von einem Telefont mit Jacques Chirac ein paar Tage früher, da wurde schon etwas angekündigt, und es gab doch im Dezember dieses Treffen in Istanbul, da wurden Sie angesprochen...

Schüssel: Das sind zwei Paar Schuhe. Andreas Khol hat auf meine Bitte Präsidenten Chirac kontaktiert. Von konkreten Maßnahmen war da keine Rede, da hieß es ganz allgemein, Österreich wird schwer bezahlen oder so ähnlich. Das Gespräch in Istabul war Wochen vorher, das war ein OSZE-Treffen. Bundespräsident Klestil hat mich zum Tisch mit Jacques Chirac gebeten. Chirac hat sehr allgemein gesagt, das könnt ihr nicht machen. Ich habe gesagt, es ist ja noch nichts entschieden, wir verhandeln mit den Sozialdemokraten, es ist allerdings schwierig, aber wir bemühen uns.

DER STANDARD: Sie hätten Chirac versprochen: Jamais, also niemals mit der FPÖ.

Schüssel: Unsinn. Erstens habe ich mit Chirac englisch gesprochen und nicht französisch, und zweitens habe ich ihm gesagt, dass wir mit den Sozialdemokraten verhandeln und durchaus auf einem Weg sind, der möglicherweise auch zu einem positiven Ergebnis führt. Was ja auch der Fall war. Wir haben schließlich einen fertigen Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten gemacht, den ich mühsam durch meinen Parteivorstand durchgebracht habe. Klima ist in seinem Parteivorstand aber gescheitert. Aber das ist bekannt. Interessanter ist eher die Frage, wie die Sanktionen zustande gekommen sind.

DER STANDARD: Sie haben sicher eine Theorie.

Schüssel: Ich war nicht dabei. Aber einige Regierungschef haben mir später in privaten Gesprächen erzählt, dass sie zögernd waren oder eben nicht dafür gewesen sind, aber jedem einzelnen hat man gesagt "du bist der letzte, es kommt nur mehr auf dich an, alle anderen haben schon zugestimmt." Das hat objektiv nicht gestimmt.

DER STANDARD: Von wem ist das ausgegangen?

Schüssel: Das müssen die beantworten, die dabei gewesen sind. Da hilft das Spekulieren nichts. Und das ist nicht meine Aufgabe.

DER STANDARD: Thomas Klestil war dabei, aber der lebt nicht mehr.

Schüssel: Ich glaube, dass die Rolle von Thomas Klestil überschätzt wird. Das wäre nicht fair, ihm jetzt die Sanktionen alleine in die Schuhe zu schieben. Er wird, vielleicht auch missverständlich, dazu beigetragen haben, dass manche das Gefühl bekommen haben, dass die Sanktionen in Österreich vielleicht gar nicht so unerwünscht sind. Aber auch das ist Spekulation.

DER STANDARD: Als Sie im Jänner 2000 mit der FPÖ zum Abschluss gekommen sind, war Ihnen da bewusst, was das für Reaktionen hervorrufen wird?

Schüssel: Die Sanktionen sind ja ein paar Tage vor der Angelobung angekündigt worden. Natürlich haben wir das dann gewusst. Und wir haben uns mit allen Kräften dagegen gewandt. Wir haben international sehr intensiv darum geworben, dass diese Maßnahmen schnell wieder aufgehoben werden.

DER STANDARD: Aber kurzfristig haben Ihnen die Sanktionen politisch doch genutzt, da gab es einen Außenfeind und zum Teil eine Solidarisierung mit der Regierung.

Schüssel: Nein. Es hat keinen Nutzen gegeben. Es hat nur geschadet und zwar hat es allen geschadet. Es hat - das sage ich als wirklich glühender Europäer - auch der europäischen Idee gerade in Österreich geschadet. Das war politische Willkür. Man hat versucht, eine legitime und legale - das darf man hier nie auseinanderhalten - Vorgangsweise unmöglich zu machen. Da sind alle Grundsätze mit Füßen getreten worden. Das ist unfassbar. Im Nachhinein ist es noch absurder als damals.

DER STANDARD: Aber die nächste Wahl haben Sie überlegen gewonnen. Da haben die Sanktionen doch auch mitgeholfen, oder?

Schüssel: Das ist eine Banalisierung der Geschichte, dies in einen Kontext zu bringen. Die Menschen haben gemerkt, da ist eine Regierung am Ruder, ein Team, ich lege sehr großen Wert auf Team, ein Team, dass sich wirklich anstrengt gute Arbeit zu machen. Die Wahl 2002 war ein Vertrauensbeweis für dieses Team.

DER STANDARD: Ihre Ansage "Wenn wir Dritte werden, gehen wir in Opposition" fiel ja ohne große Not. Und es kam anders. Später wurde Ihnen dann Lüge vorgeworfen, und es entstand für diese Koalition das gefügelte Wort: "Es gilt das gebrochene Wort". Wie sehr haben Sie Ihre Oppositionsansage aus 1999 später bereut?

Schüssel: Das muss man im damaligen Zusammenhang sehen. Wir waren in den Umfrage weit zurück, glaubten aber, gute Arbeit geleistet zu haben. Mit den Sozialdemokraten wurde gemeinsam der EU-Beitritt ermöglicht. Dann kam eine Durststrecke, das hat jeder gespürt. Reformstau. Großer Frust. Die beharrenden Kräfte vor allem auf der sozialdemokratischen Seite haben viel verhindert, aber die Volkspartei ist dafür gestraft worden. Die Freiheitlichen sind immer stärker geworden, sie haben uns in Umfragen deutlich überholt, sind auf die 30 Prozent unterwegs gewesen. Daher diese Ansage: Wir geben uns sicher nicht mehr zufrieden als Mehrheitsbeschaffer für die Beharrungskräfte. Dadurch ist eine gewatige Mobilisierung im Wahlkampf entstanden. Ich war bis zum Schluß, bis zum Auszählen der letzten Wahlkarte überzeugt, wir schaffen Platz zwei. So gesehen war diese Mobilisierung völlig richtig. Aber natürlich ist mir diese Oppositionsaussage nachgehängt. Das war mir völlig klar. Wir wollten auch in Opposition gehen. Aber das ist ja damals von allen Seiten heftig kritisiert worden: Vom Bundespräsidenten bis zu allen Medien inklusive Standard hat es geheißen, die ÖVP darf sich nicht verweigern, muss mittun. Ich habe gewusst, dieser eine Satz wird mir ewig nachhängen. Damit muss ich leben. Das wäre übrigens genauso gewesen, wenn wir in eine große Koalition gegangen wären, da hätte man mir das auch vorgehalten, nur wäre halt die Aufregung deutlich geringer gewesen. Viele, die damals mit dem Flammenschwert aufgetreten sind, hätten wohl etwas milder reagiert. Aber so ist das Leben. Dies war auch der Grund, warum ich anderen die Spitzenfunktion in der Regierung angeboten habe. Es ging nicht um meinen Ehrgeiz.

DER STANDARD: Wäre aus heutiger Sicht eine Koalition mit dem BZÖ oder der FPÖ möglich?

Schüssel: Das müssen jene beurteilen, die die Entscheidung zu treffen haben. Nur: Es gibt immer zwei Kriterien. Wer demokratisch legitimiert ist, im Parlament zu sitzen, darf nicht prinzipiell ausgegrenzt werden. Also dieses Stück Normalität ist völlig in Ordnung, das muss möglich sein. Im Übrigen genauso wie eine Regierungsbeteiligung der Grünen. 2003 habe ich sehr intensiv um die Grünen geworben. Van der Bellen hätte das durchaus interessant gefunden, aber es gelang nicht. Das ist die eine Frage. Die andere: Ist das ein Partner, dem man vertrauen kann? Der bereit ist, das Notwendige zu tun, die längersfristigen Dinge für wichtiger zu halten als kurzfristige Meinungsumfragen oder den Zuruf eines Zeitungsherausgebers? Das ist 2000 nach langen Verhandlungen durch die Präambel und den Koalitionsvertrag mit der FPÖ möglich gewesen. Heute habe ich persönlich meine Zweifel, ob das mit H.C. Strache und seinem Team möglich wäre. Mit Riess-Passer und ihrem Team war das damals eine andere Partei, das waren Profis.

DER STANDARD: Ein paar Dilettanten waren damals aber schon dabei.

Schüssel: Das ist wahrscheinlich in jeder Regierung so, dass es stärkere und schwächere gibt. Aber in Summe war das ein gutes Team. Ich gebe schon zu, es war nicht mit allen so einfach. Aber mit meinem Team auf ÖVP-Seite war ich sehr zufrieden, das war erstklassig, da hat es keinen einzigen gegeben, der mich je enttäuscht hat.

DER STANDARD: Damals war die große Koalition daran schuld, dass die FPÖ so zulegen konnte und möglicherweise auf dem Weg zur stärksten Partei war. Wenn man das auf heute umlegt müsste man befürchten: Eine Legislaturperiode große Koalition noch und Strache wird Kanzler.

Schüssel: Ich glaube nicht, dass sich Geschichte so plump wiederholt, wie Sie das jetzt formuliert haben. Ich habe 2006 ja selbst noch die Koalition mit der SPÖ verhandelt, weil ich gewusst habe, das ist der richtige Weg, um Stabilität zu garantieren.

DER STANDARD: Diese Regierung hat sich aber nicht als sehr stabil erwiesen, die hat eineinhalb Jahre gehalten.

Schüssel: Aber es war dennoch ein Glück, dass in Zeiten dieser Wirtschaftskrise die große Koalition da war. Der weithin unterschätzte Wilhelm Molterer hat eigentlich den Grundstein dazu gelegt, dass Österreich sich in der Krise hervorragend behauptet hat. Und hätte es diesen merkwürdigen und nach wie vor empörenden Brief von Gusenbauer und Faymann an die Kronen Zeitung hinsichtlich Referendum über europäische Fragen nicht gegeben, also welche Sicherungen da durchgebrannt sind, ist mir bis heute nicht klar, dann hätte es diese Regierung vielleicht noch immer gegeben. Und das wäre vielleicht nicht schlecht gewesen für Österreich. (Michael Völker, DER STANDARD-Printausgabe, 2. Feber 2010)