Herbert Buchinger: "Die meisten Österreicher sind so realistisch, dass sie sagen: Die Krot müssen wir jetzt schlucken."

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Mit der Öffnung des Arbeitsmarktes 2011 werden 25.000 zusätzliche Arbeitskräfte kommen, erwartet AMS-Chef Herbert Buchinger. Lohndumping sei trotzdem keine große Gefahr, sagte er Günther Oswald.

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STANDARD: Ab Mai 2011 haben die neuen EU-Mitglieder im Osten freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Mit welchen Folgen rechnen Sie?

Buchinger: 2009 ist die Nachfrage nach Arbeitskräften wegen des Konjunktureinbruchs ins Stocken geraten, 2010 wird es nicht viel besser werden. 2011 wird das Wirtschaftswachstum zwar voraussichtlich wieder bei zwei Prozent liegen, was normalerweise reicht, um Arbeitslosigkeit abzubauen. Wegen der Ostöffnung rechnen wir aber mit einer leichten Angebotswelle. Darum glauben wir nicht, dass die Arbeitslosigkeit schon 2011 sinken wird.

STANDARD: Wie viele Arbeitskräfte aus dem Osten erwarten Sie?

Buchinger: Gut 25.000 für die Jahre 2011 und 2012.

STANDARD: Erwarten Sie öffentlichen Protest, weil es bereits viele Arbeitslose bei uns gibt und jetzt neue Ost-Arbeitskräfte kommen?

Buchinger: Vielleicht gibt es da und dort Zähneknirschen. Aber die meisten Österreicher sind so realistisch, dass sie sagen: Die Krot müssen wir jetzt schlucken. Wir könnten dem nur bei einem Notstand entgehen. Den haben wir aber Gott sei Dank nicht. Die andere Möglichkeit wäre noch absurder: Austritt aus der EU.

STANDARD: Hat die Mobilität der Menschen in den neuen EU-Ländern durch die Krise zugenommen?

Buchinger: Eher im Gegenteil, niemand geht auf gut Glück in ein anderes Land. Und in den westlichen Ländern wurde zuletzt nicht um Arbeitskräfte geworben.

STANDARD: Müssten wir noch gezielter um qualifizierte Arbeitskräfte werben? Als Vorbild wird immer wieder Kanada genannt.

Buchinger: Wir sind nicht mit Kanada vergleichbar. Wenn man dort arbeiten will, muss man mit Sack und Pack hinfliegen. Wenn jemand, der in Bratislava wohnt, hier arbeiten will, setzt er sich ins Auto und fährt abends heim.

STANDARD: Also ist Kanada doch nicht das große Vorbild?

Buchinger: Bei uns stehen Flüchtlinge, Schlüsselkräfte und Familiennachzug im Fokus der Ausländerdebatte. Diese Gruppen machen nicht einmal ein Viertel aus. Die meisten Ausländer, die zu uns kommen, werden vom Arbeitsmarkt gesteuert: Wo es hier einen Arbeitgeber gibt, der keine inländische Arbeitskraft findet.

STANDARD: Aus welchen Ländern kommen künftig Zuwanderer?

Buchinger: Der Zuzug aus klassischen Herkunftsländern wie Ex-Jugoslawien oder Türkei nimmt ab. Es steigt der Zuzug aus EU-Ländern, der höchste Zuzug kommt aus Deutschland. Das ist sozial verträgliche Zuwanderung, die ökonomischen Nutzen stiftet und kaum etwas kostet. Das gilt auch für die neuen EU-Mitglieder.

STANDARD: Erwarten Sie Druck auf die heimischen Löhne?

Buchinger: Auf die Grundlöhne kaum, auf Nebenbedingungen schon. Etwa sind ausländische Arbeitskräfte eher bereit, auf Überstundengeld zu verzichten.

STANDARD: Wo muss sich die Politik noch vorbereiten?

Buchinger: Man wird die Kontrollen bei Schwarzarbeit verschärfen müssen. Das wichtigste Mittel gegen Schwarzarbeit wäre jedoch ein Verbandsklagerecht für die Interessenvertretungen, damit nicht der Einzelne zum Gericht gehen muss.

STANDARD: Das AMS beklagt die mangelnde Mobilität von Arbeitslosen. Für den Tourismus wurden Programme entwickelt. Zufrieden?

Buchinger: Weitgehend ja. Im Tourismus haben wir fast 13.000 Arbeitskräfte in ein anderes Bundesland vermittelt.

STANDARD: Sind Verschärfungen nötig, dass Arbeitslose noch weiter entfernte Jobs annehmen müssen?

Buchinger: Aus unserer Sicht reichen die Mobilitätsbestimmungen aus. Schwierigkeiten haben wir allenfalls bei Teilzeitarbeitskräften. Bei Vollzeitjobs gilt eine Stunde Anfahrtszeit als zumutbar. Bei Teilzeitjobs verringert sich das, hier könnte man sagen: Eine halbe Stunde ist auf alle Fälle zumutbar. Es ist kein gutes Signal zu sagen: Wenn du im Grätzel keinen Job findest, brauchst du nicht zu arbeiten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.2.2010)