Kopien der 1204 als Kriegsbeute von Konstantinopel nach Venedig verbrachten antiken Quadriga: Hüseyin Alptekin brachte sie 801 Jahre später nach Istanbul zurück.

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Videoportrait der Ausstellung bei CastYourArt

Foto: Lisa Rastl

...aber auch Annäherung.

Wien – "Hab'n S' kan Türken g'seg'n? Naa? ... I hab' glaubt, Sö san schon wieder z'ruck aus der Türkei, daweil san S' no net amal über d' Affentürkei (*) aussikommen?" , hielt der Journalist Eduard Pötzl 1892 in seinem satirischen Werk Herr von Nigerl fest. Abschätzige Begriffe rund um die Türkei gibt es zur Genüge. Die "Affentürkei" , wie Hubert Bergmann, Dialektlexikograf an der Akademie der Wissenschaften erklärt, war jedoch im frühen 20. Jahrhundert ein Schimpfwort für die heruntergekommenen Arbeiterbezirke Brigittenau und Favoriten.

Seit der Türkenbelagerung scheint die Angst vor dem Türken quasi in die Wiege gelegt; die sie begleitenden Stereotypen der hässlichsten Art setzen sich zum Teil bis heute fort. Auch Künstlerin Esra Ersen durfte in bildlicher Form mit ihren historischen wie zeitgenössischen Auswüchsen Bekanntschaft machen:eine Zeichnung von 1814 hält das Spektakel des "Türkenkopfstechens" fest:ein schauriges Schauspiel, bei dem die habsburgischen Reiter Pappmaschee-Köpfe abschlugen. Ebenso schaurig jedoch auch die Ergebnisse von Ersens Projekt: Auf ihre Bitte, türkische Köpfe aus Ton zu fertigen, reproduzierten Kölner Gymnasiasten Klischees und formten karikaturenhaft entstellte Antlitze von Männern mit Fes und Schnurrbart.

In und auf Stein manifestieren sich diese stereotypen Vorstellungen und verklärten Geschichtsbilder an vielen österreichischen Repräsentationsbauten. Statt sie zu reflektieren, werden sie allerdings übersehen: Also stellt Franz Kapfer sie dem Besucher regelrecht in den Weg, bricht sie – die Türkensklaven oder Feindestrophäen – auf jene plakative, schwarzweiße Eindimensionalität herunter, die ihrem Charakter entspricht. Arbeiten, die sich im unmittelbaren Kontext der Schau zum Türkenbezwinger Eugen (Unteres Belvedere, ab 11. 2.) sicher noch spannungsvoller ausmachen würden.

Abgrenzung und Annäherung

Die Ausstellung tanzimat im Augarten Contemporary reduziert sich aber nicht auf jene Aspekte, die kulturelle Differenz und zurückdrängende, abgrenzende Kräfte im Gestern und Heute thematisieren, sondern wird um Begriffe wie Expansion und Aneignung sowie Annäherung ergänzt.

Der türkische Titel, der Neuordnung heißt, verweist auf eine Periode der osmanischen Geschichte (1839-1876) in der das Staatswesen erheblich reformiert wurde – unter anderem wurde die Folter abgeschafft, ein Grundgesetz geschaffen, Nichtmuslime wurden Muslimen gleichgestellt. Diese Neuordnung, die mit Blick auf eine Überlegenheit des Westens und die Moderne geschah, soll Anlass dazu geben, auch den umgekehrten Blick neu zu ordnen: die gemeinsame Geschichte mit ehemaligen Ländern des Osmanischen Reiches zu betrachten.

Künstlerische Anstöße dazu steuert auch Carola Dertnig bei, deren Fokus der kulturellen Aneignung und der im orientalischen Stil erbauten Zacherlfabrik gilt: Johann Zacherl handelte seit 1842 mit einem Mottenpulver aus Zachariablüten aus Tiflis und importiere nach langen Reisen durch Georgien schließlich auch die osmanische Architektur.

Um einen Kulturexport in östliche Richtung geht es unter anderem in Kamen Stoyanovs Arbeit zur bulgarischen Kirche in Istanbul, die im 19. Jahrhundert von einem österreichischen Stahlbauunternehmen gänzlich aus Eisen gefertigt wurde. Die modulhafte Bauweise ermöglichte aber zudem, die Kirche rasch abzubauen. Man traute dem politischen Frieden mit der Türkei nicht. Gülsün Karamustafa thematisiert Istanbul als modernes kulturelles Zentrum, das Architekten wie Schütte-Lihotzky oder Clemens Holzmeister anzog, und verknüpft dies mit der zeitgleichen Schuloffensive, die zahlreiche Schuleneubauten initiierte. Istanbul war in den 1920ern, in den 1940 und 1950er-Jahren sehr europäisch, betont die 63-jährige Künstlerin.

Stetiges Transformieren

In Folge ihres politischen Engagements besaß Karamustafa 16 Jahre keinen Reisepass, war lange Zeit zu einer konzentrierten künstlerischen Innensicht auf die Türkei gezwungen. Der koloniale Blick auf ihre Heimat, der einmal mehr im Kulturhauptstadtjahr zu Tage tritt, und Istanbul auf sein "orientales Gesicht" festnageln will, ärgert sie. Sie liebt die multikulturellen, migrantischen Seiten der Stadt, die sich vor ihren Augen von einer 1,5 Millionen-Stadt zu einer 15 Millionen "Megalopolis" transformierte. "Man kann nichts so bewahren, wie es ist. Das Leben in den Städten ist fließend." (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe,

Bis 16. 5.