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Zwischen 1986 und 1999 war er Burgtheater-Direktor, seit 1999 leitet er das Berliner Ensemble: Claus Peymann, auch mit 72 Jahren ein nimmermüder Theaterprovokateur.

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Mit Andrea Schurian sprach er über Burg, Berlin, Polit-Groupies und das Sterben.

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Standard: So einhellige Zustimmung gab es für Ihre Arbeit an der Burg nicht immer. Hat Sie der unglaubliche Premierenjubel nach "Richard II." mit dem Wiener Publikum versöhnt?

Peymann: Was das Wiener Publikum mit mir und unserer Aufführung veranstaltet hat, war wirklich einmalig! Normalerweise muss man in Österreich ja sterben, um geliebt zu werden. Aber an dem Abend hatte ich den Eindruck: Das kann ich mir sparen! Den Gefallen tu ich noch niemandem. Die Burg war ja der Platz so vieler Schlachten. Bei den Heldenplatz-Proben etwa, da gab es Augenblicke, wo ich dachte, das kann man nicht durchstehen. Ich wurde bespuckt, mit Regenschirmen verprügelt und beschimpft. Es bleiben Wunden, die nicht verheilen. Die gehässige Reaktion und Vernichtungskampagne nach der Uraufführung von Peter Handkes Fahrt im Einbaum; die Intoleranz einer Öffentlichkeit, die die Parteinahme eines Künstlers nicht hören und verstehen will. Lieber zertrümmert man ein großes Kunstwerk wie dieses Theaterstück: Das ist nicht vergessen. Es gibt aber ein gewisses Einverständnis zwischen den Wienern und mir, wie in einer Liebesbeziehung: Wir haben uns in vielen Punkten über einander geirrt - und lieben einander doch!

Standard: "Richard II." hatte vor zehn Jahren am Berliner Ensemble Premiere. Wie fällt der Vergleich zwischen damals und heute aus?

Peymann: Ich bin eigentlich niemand, der zurückblickt. Doch in diesem Fall verbindet sich das Gestern mit dem Heute in wunderbarer Weise. Ich empfand die Premiere - und das hat mich fast zu Tränen gerührt - als einen ganz besonderen Augenblick in meinem Theaterleben. Eine Aufführung, fast ohne Schwachpunkte, geradezu klassisch. Das ist selten. Gut, in unserer Eitelkeit finden wir vieles toll, was wir machen. Aber diesmal hatte ich wirklich das Gefühl einer gewissen Vollendung - wie vielleicht sonst nur bei Richard III., Theatermacher und Ritter, Dene, Voss.

Standard: Richard-II.-Darsteller Michael Maertens wird mitunter als neuer Gert Voss bezeichnet. Stimmen Sie dem zu?

Peymann: Nein. Beide sind unvergleichlich großartige Schauspieler, aber gänzlich verschieden. Gert Voss und ich haben gemeinsam unser Theater erfunden, in Stuttgart, in Bochum und auch in Wien. Der Unterschied? Voss ist Richard III., und Maertens ist Richard II., und beide sind späte Kinder von Josef Kainz. Die Körpersprache, die Maertens für seinen Richard als König erfindet und die dann später in der Todeszelle als marginalisierte Zitate wieder aufflackern: Das ist phänomenal. Man müsste Voss und Maertens einmal zusammen auf der Bühne sehen. Vielleicht sollten beide in Peter Handkes neuem Stück mitspielen.

Standard: Warum wollen Sie eigentlich Handkes "Storm still" an der Burg und nicht am Berliner Ensemble uraufführen?

Peymann: Das Stück ist Handkes Traum einer Zeitreise in die Welt seiner Vorfahren, bis zu den Widerstandskämpfern gegen Hitler in Kärnten. Dieses Kapitel österreichischer Geschichte ist ein leuchtender und zugleich tragischer Gegenentwurf zu Bernhards Heldenplatz. Einfache Menschen, Holzknechte, Obstbauern, Außenseiter hatten als einzige den Mut zum bewaffneten Widerstand gegen die Nazis. Die Uraufführung eines solchen Stücks gehört unbedingt nach Österreich, auf die Bühne des Nationaltheaters. Da werden dann sicher die Messer wieder gewetzt (lacht), und die liebevolle Umarmung der Richard II.-Premiere wird wieder zum Wiener Würgegriff.

Standard: Ihr Nach-Nachfolger Matthias Hartmann wurde, anders als Sie, von Anfang an heftig umarmt.

Peymann: Eigentlich ist der Direktor die überflüssigste Figur an der Burg. Putzfrau und Pförtner sind viel wichtiger. Es gibt hier so viele begabte und fleißige Mitarbeiter. Die Logistik, die Strukturen funktionieren von allein, und zwar tausendprozentig. Darum muss der Burgtheater-Direktor vor allem Störenfried sein: Störer und Verstörer. Er muss den Betrieb infrage stellen und verunsichern. Tut er das nicht, wird er überflüssig. Das Managen mag in der Politik wichtig sein, aber bitte nicht im Theater! Daher meine Skepsis dem Vorgänger von Matthias Hartmann gegenüber. Ich bin ein Feind der Managerdirektoren. Die sprechen die gleiche Sprache wie die Politik. Bachler, Morak & Co waren ja ein Herz und eine Seele.

Standard: In der Premiere von "Richard II." waren Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky und Ex-Kunstminister Rudolf Scholten. Also so ganz unvernetzt waren Sie ja wohl auch nicht?

Peymann: Sicher braucht der Burgtheater-Direktor einen Draht zur Politik. Das war ja das Glück mit Minister Scholten. Er war das intelligente und liebenswerte Groupie unserer Zeit. Und Kanzler Vranitzky verfügte über große Toleranz. Wir hatten ein korrektes Miteinander. Natürlich hat es mich gefreut, ihn bei der Premiere zu sehen - obwohl ich vermute, dass er insgeheim Udo Jürgens lieber mag als mich.

Standard: In Deutschland werden Theater geschlossen oder stehen vor dem Bankrott. Wie geht es dem Berliner Ensemble?

Peymann: Es gibt in Berlin kein Bürgertum, sondern die Kleinbürger im Osten und die Kleinbürger im Westen und dazwischen eine Schickimicki-Schicht. Das macht die Arbeit schwer. Es fehlt die barocke Seele Münchens oder Wiens. Berlin ist nüchtern, protestantisch, ein bisschen großmaulig. In Wien würde sich keiner trauen, ein Theater zu schließen. Hier ist das vielen schnurzegal. Aber ich gebe den Kämpfer, so unzeitgemäß und lächerlich das auch sein mag: ein Alt-68er, der nicht alt werden kann. Ein Theatermammut, knapp vorm Aussterben. Ein Don Quichotte im Kampf gegen die Windmühlen. Und wir haben große Pläne. Peter Stein wird alle drei Teile von Heinrich IV. mit Klaus Maria Brandauer inszenieren, ähnlich wie damals Schillers Wallenstein. Ich plane einen Don Carlos mit Gert Voss. Leider sind wir untersubventioniert. Trotzdem: Wir hatten im vergangenen Jahr fast 250.000 Besucher und weit mehr als vier Millionen Euro Einnahmen bei einer Platzauslastung von 88 Prozent. Das ist einmalig in Deutschland - und in Berlin sowieso.

Standard: Ihr Vertrag mit dem Berliner Ensemble läuft in zweieinhalb Jahren aus. Und dann?

Peymann: Natürlich kann ich mir schwer vorstellen, als Gastregisseur herumzutingeln. Andererseits: Die Atmosphäre an der Burg war schon angenehm. Ich hatte das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein. Aber ob ich Lust hätte, mir für jede neue Inszenierung eine neue Familie zu suchen? Ich weiß nicht. Am schönsten wäre es, mitten auf der Probe das Zeitliche zu segnen. So wie Fritz Muliar. Das war doch großartig! Der ideale Tod für einen Theatermenschen. Bekanntlich haben Muliar und ich uns gehasst und geliebt. So was geht auch nur in Wien. Übrigens hatten wir uns noch zum Versöhnungsfest in Berlins Zwei-Sterne-Lokal Fischers Fritze verabredet. Doch der Tod riss ihn praktisch von meiner Seite.

(DER STANDARD/Printausgabe, 23./24.01.2010)