"Hor 29. novembar" bei einem ersten Auftritt vor dem ehemaligen Wiener Arbeiterklub "Mladi Radinik"

Foto: Mascha Dabic

"Ko peva zlo ne misli" lautet das Motto des Chors "Hor 29. novembar", was so viel bedeutet wie "Wer singt, hat nichts Böses im Sinn." Es handelt sich um ein offenes Kollektiv, bestehend aus Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien und ihren Freunden. "Ihr müsst keine Kommunisten sein um bei uns mitzusingen, aber zumindest keine Antikommunisten", heißt in der Selbstdarstellung des KünstlerInnen-Kollektivs.

Der Chor wurde im Oktober 2009 ins Leben gerufen, basierend auf einer Idee des Medienkünstlers Alexander Nikolić und des Musikers Saša Miletić, alias Slavooy Zhizheq Jr. Etwa 15 Freunde und Bekannte folgten dem Aufruf der beiden jugoslawisch-stämmigen Künstler und fanden sich zu ersten Proben ein. Bereits am 29. November fand die erste Intervention im öffentlichen Raum statt, nämlich vor dem ersten jugoslawischen Arbeiterklub in Wien „Mladi Radnik" („Der junge Arbeiter"), der exakt vierzig Jahre zuvor gegründet worden war. Der Chor würdigte mit seinem Auftritt eine inzwischen untergegangene Arbeiterkultur in Wien und beging zugleich den fiktiven 64. Geburtstag der ebenfalls untergegangenen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien.

"Austrija, Austrija"
Das Repertoire des Chores umfasst derzeit ein halbes Dutzend jugoslawischer und internationaler Arbeiter- und Partisanenlieder, die vom antifaschistischen Kampf handeln, aber auch von der Migration: Das Lied „Austrija, Austrija", die rockig anmutende Adaptation eines Neofolk-Schlagers, erzählt vom Leid der Gastarbeiter, die Schönheit und Jugend in Jugoslawien zurückgelassen haben und in Österreich an harten Arbeitsbedingungen und an Perspektivlosigkeit zugrunde gehen. „Du bist in die weite Welt hinaus, wegen des verdammten Geldes. Deine alte Mutter und die kleinen Kinder ließest du zurück", so die erste Strophe des Liedes, das der Chor mit gebührener Ironie zum Besten gibt.

"Antifaschistische Immunität stärken"
Uroš Miloradović, Philologe aus Belgrad und Chormitglied der ersten Stunde, verortet den Chor im Migrationskontext folgendermaßen: "Manipulative Projekte nationaler Identifikation halten Gastarbeiter- und Migrantencommunities in einem Zustand permanenter Idiotisierung; die Staaten, die auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens entstanden sind, produzieren und propagieren patriarchal-nationalistische Verhaltensmuster. Andererseits finden viele Ausländer in Österreich ihren Platz nur am Rande der Gesellschaft. Der soziale Aufstieg gelingt nicht, weil viele Institutionen und Gesellschaftsbereiche wie ein geschlossener Männerclub fungieren, in dem Wohlstand und Wissen innerhalb der Großfamilie vererbt werden. Die Andersartigkeit ex-jugoslawischer Migranten wird bestenfalls durch einen Filter exotischer bzw. exotisierender Folklore der Kusturica-Filme akzeptiert. Vor dem Hintergrund dieser auferlegten Positionierungen kann der Chor auf politischer und individueller Ebene emanzipatorisch wirken, indem er solche Zuschreibungen in Frage stellt."

Jasmina Janković, freiberufliche Übersetzerin und Mitinhaberin der Schnapsbar „Lokativ" im Stuwerviertel, sieht im Chor eine Möglichkeit, ihre „antifaschistische Immunität" zu stärken: „In Jugoslawien hatte ich solche antifaschistischen Spritzen nicht nötig. Aber so wie die österreichische Innenpolitik zur Zeit aussieht, brauche ich den Antifaschismus der Partisanenlieder wie einen Vitamincocktail", erzählt Jasmina mit einem Augenzwinkern. 

Zorana Janjić, Designerin, findet, dass das Chor alle Elemente beinhaltet, die ein Projekt braucht, um seine Mitglieder zu stimulieren und zu aktivieren: "Man hat die Gelegenheit, sich innerhalb eines spannendes Kollektivs mit wichtigen und ernsthaften Themen auseinanderzusetzen, aber auf eine Weise, die extrem viel Spaß macht. Mit den anderen gemeinsam zu singen, schöpferisch zu sein, etwas auf die Beine zu stellen, und dabei gar nicht wissen, was als Nächstes passiert, ist alleine für sich anziehend genug, und wenn dann noch die Diskussionen, Aktionen und wertvolle zwischenmenschliche Beziehungen dazukommen, die in so einem Prozess entstehen, dann wird man einfach zu einem Mitglied, das keine Chorprobe verpasst."

Mehrsprachiges Repertoire
In Zukunft soll nicht mehr nur auf Serbokroatisch gesungen werden, sondern in allen Sprachen des ehemaligen Jugoslawiens: Slowenisch, Makedonisch, Albanisch. Die Tätigkeit des Chors erschöpft sich jedoch keineswegs im jugonostalgischen Besingen untergegangener bzw. gewaltsam zerstörter Lebenswelten und Identitätskonzepte am Balkan. Zum einen werden auch sowjetische, deutschsprachige und andere nichtjugoslawische Lieder eingeübt, zum anderen wird die praktische Arbeit am Repertoire von ständiger inhaltlicher Diskussion begleitet, in erster Linie zum Thema Jugoslawien, aber auch zu aktuellen Entwicklungen in der Region (z.B. Arbeiterproteste in Serbien) und in Österreich. Die Debatten finden sowohl bei Proben statt - das Musikalische muss manchmal ganz dem Politischen weichen, und so werden Proben schon mal kurzerhand in Plena umfunktioniert - , als auch über die Mailinglist des Chors. Ob derartige Diskussionen mittel- und langfristig den Chor um eine politisch-aktivistische Dimension bereichern werden, wird sich noch zeigen. Man darf nun gespannt sein, welche künstlerischen und politischen Aktionen des Gesangskollektivs noch folgen werden. Diverse Einladungen gibt es bereits, zum Beispiel nach Rumänien zu einem Festival über E-Tribes im Februar, ins Museum für jugoslawische Geschichte in Belgrad, sowie zum Donaufestival in Krems im Mai 2010.