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Eine Vertriebene weint um ihren Sohn, der bei dem Blutbad in Jos in Zentral-Nigeria getötet wurde. Jetzt sichert die Armee die Stadt.

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Während die Armee die Stadt Jos sichert, berichten Bewohner umliegender Städte schon von neuen Unruhen.

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Jos/Nairobi - Als Hundertschaften der Armee das Zentrum der Stadt Jos sicherten, herrschte zum ersten Mal seit Sonntag Ruhe. Die Schüsse, die immer wieder zu hören gewesen seien, hätten aufgehört, berichtet Pfarrer Pandang Yamsat, der der Kirche Christi vorsteht, mit drei Millionen Mitgliedern eine der größten Kirchen im Zentrum Nigerias. Die Rauchfahnen aus angesteckten Kirchen, Moscheen und Häusern seien verschwunden. "Die Lage in Jos selbst hat sich etwas beruhigt" , so Yamsat. "Aber bevor die Armee kam, war es sehr, sehr schlimm."

Muslimische und christliche Jugendliche haben sich gegenseitig umgebracht in einem der Blutbäder, für die das einst als Kurort gegründete Jos inzwischen berüchtigt ist. Vor gut einem Jahr starben bei ähnlichen Unruhen zwischen 200 und 700 Menschen, 2001 waren es mehr als tausend.

Wie hoch die Zahl der Opfer diesmal ist, ist noch unklar. Schätzungen sprechen von mehr als 460 Toten. Mehr als 200 Muslime sollen seit Sonntag zur Zentralmoschee der Stadt gebracht worden sein. Die Kirchen in der Stadt berichteten von 65 toten Christen.

Im größten Krankenhaus, dem Universitätsklinikum, wurden Verletzte behandelt. "Gut 90 Prozent der Verletzten haben Schusswunden, der Rest ist mit Messern oder Pfeil und Bogen verletzt worden" , sagt der Arzt Dabit Joseph. Obwohl die Ärzte rund um die Uhr arbeiten, mussten zahlreiche Verletzte abgewiesen werden.

Brennende Häuser

Doch während die Menschen im Zentrum von Jos aufatmeten und die Behörden am Donnerstag auch die Ausgangssperre lockerten, wurden aus den Außenbezirken und umliegenden Ortschaften neue Ausschreitungen gemeldet. In Pankshin, gut 100 Kilometer entfernt von der 500.000-Einwohner-Stadt Jos, berichteten Bewohner von brennenden Regierungsgebäuden. In den umliegenden Bundesstaaten wurde die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Im "Middle Belt" , wie die Region zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden Nigerias genannt wird, sind die Spannungen zwischen den Religionsgruppen groß. Kreuzzüglerisch anmutende Missionsbewegungen sind in Jos ebenso zu Hause wie islamistische Kampfgruppen. Vor allem aufgehetzten Jugendlichen genügt der kleinste Anlass zur Gewalt.

Welcher Anlass es diesmal war, blieb zunächst unklar. Muslime sprachen von einem grundlosen Angriff auf einen muslimischen Mann, der sein in den letzten Unruhen zerstörtes Haus fertiggestellt habe. Auf einmal seien christliche Jugendmilizen erschienen und hätten ihn vertreiben wollen, sagt der Mann, Alhaji Kabir Muhammad.

"Nur verteidigt"

Pfarrer Pandang Yamsat hingegen spricht von einem gezielten Angriff nach der Sonntagsmesse. "Das war geplant, unsere Jugendlichen haben sich nur verteidigt" , so Yamsat. "Die Muslime wollen das Land allein regieren, aber das geht nicht, es gehört Christen und Muslimen gleichermaßen."

Die Anspannung zeigt sich in einer Ankündigung Yamsats: "Je gewalttätiger die Muslime werden, desto gewalttätiger werden wir Christen."

Nicht alle teilen Yamsats Einschätzung. Der Muslim Shamaki Gad von der Menschenrechtsliga in Jos macht vor allem soziale Spannungen verantwortlich. "Frühere Ausschreitungen sind nie aufgeklärt worden, niemand wurde verhaftet - deshalb gibt es ein Gefühl der Straflosigkeit" , so Gad. "Weil auch die versprochenen Reparationen vom Staat nie geflossen und die Leute arm und hoffnungslos sind, gehen sie aus Frust erneut auf die Straße."

Seine Analyse teilt Gad mit dem katholischen Erzbischof von Jos. "Die Auseinandersetzungen haben sehr wenig mit Religion zu tun", meint Ignatius Kaigama. "Die Religion wird hier instrumentalisiert, um ethnische und politische Interessen leichter durchzusetzen." (Marc Engelhardt/DER STANDARD, Printausgabe, 22.1.2010)