Für die Fachwelt stellt der Fund eine Sensation dar: In einer mittelalterlichen Handschrift wurde vor kurzem ein Fragment der verschollenen Koranübersetzung des Johannes von Segovia (ca. 1393-1458) entdeckt. Dessen dreisprachiger Koran (Arabisch-Spanisch-Lateinisch) sollte vor über 600 Jahren dem besseren Verständnis des Islams im Abendland dienen, verschwand aber nach dem Tod des Übersetzers spurlos.
Der Bochumer Altsprachler und Religionsforscher im Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der RUB (CERES) Reinhold Glei hat das Fragment zusammen mit dem Freiburger Theologen Ulli Roth nun herausgegeben und ausführlich kommentiert.
Islamstudium in der Einsamkeit Savoyens
Johannes von Segovia, Professor an der Universität von Salamanca und streitbarer Konzilstheologe, zog sich nach dem Scheitern seiner Karriere in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen um die Macht des Papsttums in die Einsamkeit des Benediktinerklosters Ayton in Savoyen zurück und widmete sich fortan dem Studium des Islams, den er in Spanien kennengelernt hatte.
Bei der Abfassung seines großen Werkes "Über den geistigen Kreuzzug gegen den Islam" erkannte er, dass die erste, inzwischen über 300 Jahre alte lateinische Koranübersetzung sprachlich sehr unzuverlässig und ungenau war, und beschloss, zusammen mit einem muslimischen Rechts- und Korangelehrten, Isa Gidelli aus seiner Heimatstadt Segovia, eine neue, möglichst wörtliche Koranübersetzung anzufertigen.
Spektakuläres christlich-muslimisches Gemeinschaftsunternehmen
So kam das wohl spektakulärste christlich-muslimische Gemeinschaftsunternehmen des Mittelalters zustande: Isa übersetzte aus dem Arabischen ins Spanische, Johannes dann aus dem Spanischen ins Lateinische, wobei auch er nach und nach Arabisch lernte und manches Eigene zur Übersetzung beisteuerte.
"Dieser dreisprachige Koran hätte den Dialog des lateinischen Abendlandes mit dem Islam auf eine völlig neue Grundlage stellen können, da hierdurch erstmals eine genaue Kenntnis des Korans möglich geworden wäre", schätzt Glei. Kurz nach der Fertigstellung der Übersetzung starb allerdings Johannes von Segovia; seine Bücher, darunter auch den dreisprachigen Koran, vermachte er seiner alten alma mater in Salamanca.
Ob er dort je ankam, ist unklar - die Spuren des Werkes verlieren sich im Dunkel. "Vielleicht hat man das einzige existierende Exemplar auch bewusst verschwinden lassen, da nicht allen an einem friedlichen Dialog mit dem Islam gelegen war", mutmaßt Glei. "Bis heute hat man jedenfalls keine Spur des dreisprachigen Korans finden können."
Langes Zitat als Glücksfall
Ein Glücksfall für die Forschung ist aber, dass Johannes von Segovia ein langes Zitat aus seiner lateinischen Übersetzung an den Rand seiner Abhandlung über den geistigen Kreuzzug geschrieben hatte, das bisher nicht beachtet wurde. Die beiden Forscher aus Bochum und Freiburg entzifferten den Text und erkannten, dass es sich um ein umfangreiches Zitat aus dem dreisprachigen Koran handelt (Sure 5,110-115).
Damit wurde es jetzt erstmals möglich, die Übersetzungstechnik von Isa Gidelli und Johannes von Segovia zu studieren: Durch einen detaillierten Vergleich des arabischen Originals mit der lateinischen Übersetzung konnten wesentliche Aufschlüsse über die Eigenart des dreisprachigen Korans gewonnen werden. "Die Entdeckung und Entzifferung dieses Fragments dürfte deshalb in der Fachwelt als Sensation gewertet werden", so Glei. (red)