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Foto: Reuters/ SUKREE SUKPLANG

Die Produktion von Opium, Koka und Cannabis soll bis zum Jahr 2008 "eliminiert oder deutlich vermindert" werden, desgleichen die Nachfrage nach illegalen Drogen. So beschloss es die UNO vor fünf Jahren. Die 46. UN-Drogenkommission, die nächste Woche in Wien tagen wird, will den bisherigen Erfolg evaluieren. Robert Lessmann zieht eine Vorbilanz.

Drogenfrei in zehn Jahren

"Drogenfrei in zehn Jahren!" Pino Arlacchi hatte sich 1998 viel vorgenommen. Im Januar letzten Jahres musste er als Chef des UN-Drogenkontrollprogramms vorzeitig seinen Hut nehmen. Viele hatten seine Ankündigung von Anfang an für verrückt gehalten. Indes: Mit vollmundigen Zielvorgaben und der Ausrufung einer globalen Initiative gegen Drogen gelang es zunächst, nach anderthalb Jahrzehnten Stillstand neue Unterstützung und neue Gelder für höhere Dosen der alten Rezepte zu mobilisieren. Der versprochene Politikwechsel allerdings blieb aus.

Aktionsprogramm zur Eliminierung

Das ehrgeizige Ziel sollte unter anderem mit einem Aktionsprogramm zur Eliminierung so genannter Drogenpflanzen erreicht werden. Weltweit wurden im Jahr 2002 schätzungsweise 4600 Tonnen Opium gewonnen, also mehr als die 4346 Tonnen des Ausgangsjahres 1998. Während der Anbau von Schlafmohn unter dem Strich in den 15 Jahren mit gewissen Schwankungen relativ konstant geblieben ist, gab es in Afghanistan dramatische Veränderungen (siehe Beitrag auf Seite A3). Die UNO schätzt den Opiumanbau heute auf 82.000 Hektar, das entspricht einer Produktion von 3400 Tonnen Rohopium; Tendenz weiter steigend. Aus Afghanistan kommen somit zwei Drittel der Weltopiumproduktion und 75 Prozent des in Europa konsumierten Heroins. Afghanistans Einnahmen aus dem Drogengeschäft werden auf 1,3 Milliarden Dollar geschätzt, das entspricht dem Siebenfachen der legalen Exporte und 15 Prozent des Bruttosozialprodukts.

Kokaanbau

Der Kokaanbau, Ausgangspunkt für die Herstellung von Kokain, konzentriert sich praktisch ausschließlich auf die Andenländer Bolivien, Kolumbien und Peru und liegt dort seit anderthalb Jahrzehnten ziemlich konstant bei um die 200.000 Hektar. In Peru, dem traditionell wichtigsten Anbauland für Kokablätter, war es Mitte der 90er-Jahre zu einem 50-prozentigen Rückgang der Kokaproduktion gekommen. Der Markt brach zusammen. Felder wurden aufgegeben. Die Politik schrieb sich und ihrer Operation Airbridge diesen Rückgang zu. Seit 1995 wurden dabei verdächtige Flugzeuge zur Landung gezwungen und notfalls abgeschossen. Drogenflüge gingen drastisch zurück, bis irrtümlich ein Flugzeug mit einer amerikanischen Missionarsfamilie an Bord abgeschossen wurde. Als Ursache für das Unglück wurden Kommunikationsprobleme zwischen dem peruanischen Jagdflugzeug und dem amerikanischen Personal des Aufklärers genannt. Das Programm liegt seither auf Eis, soll aber in Kürze wieder aufgenommen werden.

Bereits seit Mitte 1998 steigen die Kokapreise in vielen Gegenden Perus wieder an, nehmen Bauern in Abwesenheit ökonomischer Alternativen ihre Kokafelder wieder in Produktion oder legen neue an. Zeitgleich zur Operation Airbridge wurden in Kolumbien die mächtigen Drogenorganisationen von Medellín und Cali zerschlagen, die sich überwiegend aus Peru mit Rohstoff versorgt hatten. Der Rückgang der Kokaproduktion in Peru hatte von daher schlicht auch konjunkturelle Ursachen. In den großen Städten, vor allem in Lima, kam es zu einem sehr starken Anstieg des Drogenkonsums, hervorgerufen offenbar durch ein Überangebot und Preisverfall.

lanübererfüllung

In Bolivien feierte man im Februar 2001 eine Planübererfüllung: Coca Zero, die Eliminierung der gesamten Koka-Überschussproduktion (die über 12.000 Hektar für den legitimen, traditionellen Konsum hinausgeht). Pino Arlacchi kam persönlich zur Feierstunde ins Anbaugebiet des Chapare: Ein Erfolg seiner Strategie der Alternativen Entwicklung, hatte er in einer Presseaussendung schreiben lassen.

Regierung

Im gleichen Jahr will die bolivianische Regierung bereits wieder 9300, im Folgejahr (2002) 11.800 Hektar Koka vernichtet haben. Dass darunter ihre Glaubwürdigkeit leidet, ist das kleinere Problem. Tatsächlich konnte man ja eine Reduzierung erreichen: Präsident Hugo Banzer hatte das Militär geschickt: 4000 Polizisten und Soldaten. Während unter deren Schutz gleich nach der Verabschiedung seines Plans Por la Dignidad ("Für die Würde") seit Januar 1998 eine entschlossene Kampagne der Zwangseradikation anlief, brauchte die Regierung des Exdiktators bis zum Sommer 1999, um überhaupt einen runden Tisch potenzieller Geber für die Alternative Entwicklung zu organisieren. Natürlich laufen bereits Projekte in der Zone. Doch es war klar, dass sie mit dem Rhythmus der Eradikation nicht Schritt halten konnten. Diese Ungleichzeitigkeit führte zu heftigen sozialen Konflikten, die viele Menschenleben forderten. Immer wieder bringen Proteste und Straßenblockaden das wirtschaftliche Leben im Armenhaus Südamerikas zum Erliegen.

Überproduktion

Doch damit nicht genug: Konnte ein Kokabauer im Chapare im Jahr 1997 auf der Basis einer Überproduktion und sehr niedriger Preise 1500 Dollar pro Hektar pro Jahr verdienen, so waren es nach Abschluss der Eradikationskampagne im Sommer 2001 15.000 Dollar. Der "Plan für die Würde" hat dazu geführt, dass wiederum kein Alternativprodukt und keine alternative Aktivität auch nur annähernd mit dem Koka-Kokain-Geschäft konkurrieren kann. Das ist nicht einfach ein Misserfolg: Der Kokaanbau geht einher mit unkontrollierter Migration, Abholzung tropischer Wälder, Auslaugung und Erosion von Böden, Vergiftung von Erdreich und Gewässern mit Chemikalien wie Kerosin und Schwefelsäure, die zur Weiterverarbeitung nötig sind. Eine ungefähre Zahl geht von zwei Tonnen Chemikalien pro Hektar pro Jahr aus. War in den 80ern ein Kokaboom für die Ausbreitung des Anbaus ins Hinterland verantwortlich, so ist es heute in wachsendem Maße eine verfehlte Politik, der es nur auf jährliche Eradikationserfolge ankommt und die die Nachhaltigkeit außer Acht lässt.

Erfolgsbilanz

Kolumbien soll die Erfolgsbilanz retten: Laut UN konnte dort im zweiten Jahr in Folge eine Reduzierung des Kokaanbaus erreicht werden: minus 43.000 Hektar (2002). Erzielt wurde dieses Ergebnis jedoch nicht durch ein Programm der Völkergemeinschaft, sondern durch die Besprühung von 123.000 Hektar mit Herbiziden aus der Luft. Das äußerst umstrittene US-kolumbianische Sprayprogramm läuft bereits seit Mitte der 90er-Jahre, als der damalige Präsident Ernesto Samper unter Korruptionsvorwürfen und Sanktionsdrohungen aus Washington zur Einwilligung gedrängt wurde. Trotz stetiger Ausweitung und Intensivierung der Besprühung - 2001 waren es 100.000 Hektar - kam es bis zuletzt nicht zu einer Reduzierung, sondern zu einer Ausweitung des Anbaus. Die Hoffnung ist nun, dass man eine kritische Größe erreicht hat, bei der die Bauern resignieren und keine neuen Felder mehr anlegen. Sollte sich diese Hoffnung nicht erfüllen, so kann man leicht errechnen, wie lange es beim derzeitigen Besprühungsrhythmus theoretisch dauern würde, bis Kolumbiens 40 Millionen Hektar Regenwald zunächst in Kokafelder und dann in Wüste verwandelt würden. Ein Erfolg der Sprühkampagne hingegen würde mangels ökonomischer Alternativen das Heer der Bürgerkriegsflüchtlinge in den Slums der Städte vergrößern - oder das der Bürgerkriegsparteien.

Kolumbien erhält von den USA Waffen- und Ausbildungshilfe für den Drogenkrieg in Milliardenhöhe. Ein Bericht des US-Rechnungshofes (GAO) moniert indessen, dass von 56 Mio. Dollar, die für die Alternative Entwicklung zur Verfügung gestellt worden waren, nur sechs Mio. tatsächlich ausgegeben wurden. Zwei linksgerichtete Guerillagruppen und rechtsextreme Paramilitärs - mit fast 40.000 Kämpfern - kontrollieren weite Teile des Landes und finanzieren sich auch aus Drogengeschäften. Die Entführung deutscher Projektmitarbeiter durch die Guerilla steht ebenso als Fanal für miserable Rahmenbedingungen wie die versehentliche Besprühung von Projekten der UNO und der deutschen GTZ mit dem Herbizid Glyphosate.

Entwicklungsproblem

Für die betroffenen Länder des Südens stellt sich ihr "Drogenproblem" primär als komplexes Entwicklungsproblem dar. Alternative Entwicklung, das ist der Versuch, (mit) den Bauern Daseinsalternativen zu erschließen. Nie zuvor wurde der Alternativen Entwicklung von der Völkergemeinschaft so breiter Raum und so hoher Stellenwert beigemessen wie in der UNGASS-Erklärung. Mit dem Instrumentarium, das der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung steht, lassen sich viele der verheerenden Folgen der Drogenwirtschaft bekämpfen, lässt sich ein Klima schaffen, das den Bauern einen Ausstieg erleichtert. Afghanistan, Kolumbien, Myanmar: Politische Instabilität stellt einen Nährboden für die illegale Drogenwirtschaft dar, die wiederum als Katalysator für Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Chaos und Gewalt wirkt. Alternative Entwicklung kann an zentraler Stelle einen Beitrag zu Krisenprävention und Friedenssicherung leisten.

Ob sich indessen der Anbau so genannter Drogenpflanzen bei persistenter Nachfrage überhaupt beseitigen lässt? Fast zwanzig Jahre Drogenkrieg der USA in den Anden sind den Beweis dafür schuldig geblieben. Partielle oder gar virtuelle Erfolge publikumswirksam zu Inszenieren wird auf die Dauer nicht reichen. (DER STANDARD Printausgabe 5/6.4.2003)