Ich war mir lange unsicher, ob ich den Beruf des Arztes überhaupt aushalte", erinnert sich Thomas Pieber an die Qual seiner Studienwahl. "Dieser Beruf erfordert ja nicht nur Wissen, sondern auch den permanenten Umgang mit kranken und sterbenden Menschen. Das braucht mehr Kraft, als man von außen glaubt."

Die Anziehungskraft der Medizin war dann aber doch größer als die Angst vor der eigenen Sensibilität, die angestrebte Spezialisierung auf die Kinderheilkunde versprach zumindest eine halbwegs heile Nische im rauen Medizineralltag. Der halbherzige Fluchtversuch wurde allerdings durch das Fehlen einer entsprechenden Ausbildungsstelle vereitelt. "In der Not hab' ich mich dann für Diabetes und Stoffwechsel entschieden, weil davon ja auch viele junge Menschen betroffen sind", beschreibt der 42-Jährige seinen eher zufallsgelenkten Weg zur Diabetologie. Dass dieser in einen ziemlich steilen Karrierepfad gemündet ist, findet er nicht weiter aufregend, denn "in Österreich ist es gar nicht so schwierig, Ideen umzusetzen, wie viele behaupten." Ideen hat er genug, und alle von ihnen haben dasselbe Ziel: die Therapie und damit die Lebensqualität chronisch kranker Menschen zu verbessern.

Internationales Aufsehen erregten Pieber und sein Forscherteam etwa mit der Entwicklung einer "künstlichen Bauchspeicheldrüse", die den Alltag von Diabetikern wesentlich vereinfacht. Als Leiter des Instituts für Medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement der Joanneum Research, Oberarzt an der Diabetesambulanz der Grazer Uni-Klinik und Präsident der Österreichischen Diabetesgesellschaft hat er auch den nötigen Spielraum, seine Vorhaben umzusetzen. Antrieb auf dem Weg in diese Funktionen war ein schmerzender, aber aktivitätsfördernder Stachel im Medizinerfleisch: "Es ist meine massive Unzufriedenheit mit unserem zum Teil ineffizienten und autoritären Gesundheitssystem, die mich durch all diese Institutionen und Aufgaben treibt."

Eine Unzufriedenheit, die ihn bereits als Student an die Stoffwechselabteilung der Düsseldorfer Uniklinik führte: "Der damalige Leiter war Vorreiter in der patientennahen Behandlung. Er hat die Gleichberechtigung von Arzt und Patient nicht nur in den Mund genommen, sondern auch umgesetzt", erinnert sich Pieber. Was er von dort mitgebracht hat, ist vor allem die Erfahrung, dass auch ein kränkelndes Gesundheitssystem mit hartnäckigem Engagement in Richtung Menschlichkeit verschoben werden kann. Und dass dabei ein gewisses Maß an Sensibilität - verbunden mit ausreichend Mut und Wut - durchaus hilfreich ist.

Mittlerweile gilt der Familienmensch und leidenschaftliche Segler und Bergsteiger selbst als Vorreiter einer patientenzentrierten Versorgung chronisch Kranker. "Aber das", meint er allen Ernstes, "würde ich nicht als große Leistung sehen." (Doris Griesser/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6. 4. 2003)