Gott muss Argentinier sein", lautete früher das Sprichwort, mit dem die Einwohner auf ihre durch Bodenschätze wie Erdöl besonders gute Situation hinweisen wollten. Als wirtschaftlich attraktives Land zog Argentinien immer Einwanderer an: Italiener, Spanier, Deutsche, Dänen, Araber, Koreaner, zuletzt vor allem Osteuropäer und natürlich Bewohner der unmittelbaren Nachbarstaaten - alle suchten ihr Glück in dem vormals prosperierenden Land und hinterließen ihre Spuren in der Sprachlandschaft.

"Unter der einheitlichen spanischen Oberfläche ist Argentinien ein sprachlich extrem vielfältiges Land", erklärt der Wiener Romanistik-professor Georg Kremnitz. Gemeinsam mit dem Lateinamerikazentrum der Uni Dresden lud er vergangene Woche argentinische und österreichische Wissenschafter nach Wien, um über den Umgang mit Vielsprachigkeit zu diskutieren. "Im Vergleich zu Österreich ist Argentinien offener für Minderheitensprachen", fasst Kremnitz die Ergebnisse des erfolgten Wissensaustausches zusammen.

Das zeige sich vor allem im Schulsystem, wo es möglich sei, in einer Minderheitensprache schreiben zu lernen und mit Spanisch erst danach zu beginnen. Fortschritte sieht Kremnitz auch im Umgang mit den Sprachen der indianischen Völker in Argentinien, deren Unterricht in die Lehrpläne aufgenommen wurde. Um den Bestand der bis zu 15 verschiedenen Sprachen zu sichern, wird auch die Wissenschaft aktiv: Die Linguistin Lucia Golluscio schildert ein Projekt der Universität Buenos Aires, nicht nur ihre Wörter und grammatikalischen Regeln aufzuzeichnen, sondern auch ihren sozialen Gebrauch in Texten oder Musik.

Die Zeiten, in denen Argentinien Einwanderer anzog, sind vorerst vorbei: Eine schwere politische und wirtschaftliche Krise im Jahr 2002 hinterließ auch an den Universitäten ihre Spuren, beschreibt Roberto Bein, Sprachwissenschafter der Universität Buenos Aires: "Während früher unsere Währung 1:1 an den Dollar gekoppelt war, ist der Peso nach Aufhebung dieser Bindung heute nur mehr ein Drittel wert. Die Menschen verloren durchschnittlich 40 Prozent ihrer Kaufkraft." Beins eigenes Gehalt als Universitätsdozent sank im Wert von vormals 1200 Euro auf 400 Euro. Besonders deutlich werde die schlechte wirtschaftliche Lage bei den Studierenden: Zwar sei das Studium kostenlos, an manchen Regionaluniversitäten könnten sich die Studenten aber keine Bücher mehr leisten.

Die hohe Arbeitslosigkeit wirkte sich sogar auf die Fächerwahl aus: Die Inskriptionszahlen an den Geisteswissenschaften stiegen. Die Überlegung dabei laut Bein: "Wenn schon als Akademiker arbeitslos, dann wenigstens vorher etwas wirklich Interessantes studieren."

Gott ist also kein Argentinier mehr - und das sei teilweise sogar gut so, meint Roberto Bein: "Ein Großteil der Bevölkerung glaubt nicht mehr an Wunder oder starke Männer als Retter." Das werde sich auch bei der Präsidentenwahl am 27. April zeigen: Das Misstrauen in die Politik sei so gewachsen, dass in den Umfragen bisher kein Kandidat mehr als 18 Prozent Zustimmung erzielte. Es wird erwartet, dass mindestens die Hälfte der Menschen ihre Stimme ungültig abgibt. (Elke Ziegler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6. 4. 2003)