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Die regelmäßigen Tumulte im Kiewer Parlament, der Werchowna Rada (hier im vergangenen September), illustrieren weniger eine lebendige Demokratie als vielmehr die wechselseitigen Blockaden, Abhängigkeiten und Verflechtungen im politisch-wirtschaftlichen Netzwerk der Ukraine.

Foto: AP/Tschusawkow

Nach der Präsidentenwahl könnte der Frieden vorbei sein.

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Der verflixte Siebente ist zum Gradmesser der Wirtschaftskrise in der Ukraine geworden. Am 7. jedes Monats ist Zahltag, und Kiew muss seine Rechnung für das im vorangegangenen Monat bezogene russische Gas bezahlen. In den vergangenen Monaten gelang das nur noch mit dem Griff in die Trickkiste.

Um die Dezemberrechnung in Höhe von mehr als 900 Millionen Dollar (627 Mio. Euro) bezahlen zu können, wurden die Währungsreserven der Nationalbank angezapft. Ein neuerlicher Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland wie vor einem Jahr, als der Gastransit nach Europa für einige Woche unterbrochen worden war, konnte abgewendet werden.

Fraglich ist jedoch, wie lange der Gasfrieden währt. Die Rahmenbedingungen sind heuer noch ungünstiger als vor einem Jahr. Im Gegensatz zu 2009, als der russische Gaskonzern Gasprom der Ukraine noch einen Rabatt von 20 Prozent gewährte, wird 2010 der volle Marktpreis fällig. Die Erhöhung der Transitgebühren um 60 Prozent kann den Preisanstieg nicht kompensieren.

Darüber hinaus hat die Ukraine 2009 statt der vereinbarten 40 nur 33,5 Milliarden Kubikmeter Gas bezogen. Russland hat zwar bisher darauf verzichtet, eine Vertragsstrafe in Höhe von 8,5 Milliarden US-Dollar (rund 5,7 Mrd. Euro) in Rechnung zu stellen. Das könnte sich jedoch schnell ändern, sollte der neue Präsident der Ukraine eine russlandfeindliche Politik verfolgen.

Selbst Präsidentschaftsanwärter Wiktor Janukowitsch, der nicht gerade im Verdacht steht, ein Russenfeind zu sein, hat die Revision des Gasvertrags mit Russland angekündigt. Der von seiner Rivalin Julia Timoschenko ausgehandelte Zehn-Jahres-Vertrag knechte die Ukraine, sagte Janukowitsch, der von der ukrainischen Industrie unterstützt wird.

Kiew zahlt am meisten

Laut dem Energieexperten Michail Kortschemkin, Direktor der Eastern European Gas Analysis, muss die Ukraine mehr für russisches Gas zahlen als andere Importeure. Der Basispreis sei 50 bis 60 US-Dollar höher als der tatsächliche Durchschnittspreis für europäische Gasprom-Kunden.

"Ein neuer Gasvertrag ist unausweichlich" , sagte Kortschemkin dem Standard. Sonst werde es spätestens im kommenden Sommer, wenn die ukrainische Energiegesellschaft Naftogas beginnt, die Speicher aufzufüllen, zu einer Gaskrise kommen.

Der österreichische Handelsdelegierte in Kiew, Gregor Postl, hält hingegen eine erneute Unterbrechung der russischen Gaslieferungen für wenig wahrscheinlich. Zum einen verfüge die Ukraine noch über einen Polster von 26 Milliarden US-Dollar an Währungsreserven, zu anderen sei im Frühjahr die Heizsaison schon wieder vorbei. Dazu kommt, dass sich russische Investoren zuletzt in die ukrainische Industrie eingekauft haben. "Wenn es zu einem Gasstopp kommt, dann schneidet sich Russland ins eigene Fleisch", sagt Postl. (Verena Diethelm aus Kiew/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2010)