So mühevoll und kritisch hinterfragt wie das Kabinett Barroso 2 ist noch keine EU-Kommission zuvor ins Amt gekommen. Und das ist gut so - auch wenn Regierungsbildungsvorgänge und die Erneuerung der Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene reichlich verworren und chaotisch erscheinen mögen.

Stichwort EU-Vertrag von Lissabon. Dieser trat erst mit jahrelanger Verzögerung und nach einer wiederholten Volksabstimmung in Irland in Kraft. Seit sechs Wochen gilt er, nach seinen neuen Spielregeln wird in wenigen Tagen die Legislaturperiode bis zum Jahr 2014 richtig beginnen können - mit einer Kommission, der vom EU-Parlament nicht nur in personeller Hinsicht, sondern auch inhaltlich die Zähne gezeigt worden sind.

Die Gewinner dieses Prozesses werden am Ende die wachsende Demokratie in Europa sein, die Mitsprache und Kontrolle durch die Parlamente auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene - letztlich aber die Bürger der Union. Das lässt sich nach den öffentlichen Anhörungen der Kandidaten für die Top-Posten in Brüssel vor den Fachausschüssen des Europäischen Parlaments schon Freitagabend sagen.

Auch wenn vier von insgesamt 26 Kandidaten erst Anfang nächster Woche ihren Eignungstest in Straßburg absolvieren müssen - die wichtigsten Dinge, die diesen Fortschritt belegen, sind schon passiert.

Erstens: Die Zeiten, in denen die nationalen Regierungen schalten und walten, wie sie wollen, indem sie ihre Personalwünsche in Brüssel einfach durchdrücken, die von den Volksvertretern bisher quasi "abzunicken" waren, diese Zeiten der EU-Frühzeit sind definitiv vorbei. Mit der Bulgarin Rumiana Jeleva und der Niederländerin Neelie Kroes wurden von den EU-Ausschüssen gleich zwei Kandidaten die gelbe Karte gezeigt, aus denen in einem Fall eine rote werden könnte.

Interessant die Gründe, die dafür ausschlaggebend waren: Auch sie deuten auf neue Verhältnisse hin.

Jeleva, die in der EU-Zentralbehörde die Verantwortung für humanitäre Hilfe übernehmen sollte (und damit für das Haiti-Management), zeigte sich gegenüber Vorwürfen von Verstößen gegen Unvereinbarkeitsregeln hilflos. So etwas ist in der Union von heute aber nicht mehr akzeptabel. Die EU-Parlamentarier haben brutal klargestellt, dass sie eine Politik von Transparenz und Klarheit, ohne Toleranz bei Betrugsverdacht, wollen. Daran wird Präsident José Manuel Barroso, der in dieser Frage keine Führungskraft zeigt, sondern sich versteckt, Maß nehmen müssen. Sonst kriegt er ein Problem. Das ist auch ein wichtiges Signal für Länder wie Österreich, wo Politskandale und Finanzmauscheleien leicht unter den Teppich gekehrt werden.

Zweitens: Neue Standards in Europas Politik gelten nach EU-Parlamentssicht aber nun auch inhaltlich, wenn es um die Mitgestaltung der Volksvertreter bei Beschlüssen geht.

Das bekam die mächtige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes zu spüren, die gewohnt ist, exekutive Gewalt durchzusetzen, und ihre Anhörung auf die leichte Schulter nahm. Sie fand es nicht der Mühe Wert, um die Abgeordneten zu werben, ihnen Kooperation anzubieten, wenn sie Digital-Kommissarin wird. Ein Fehler: Die Abgeordneten ließen sie kalt abfahren, verweigerten vorläufig die Zustimmung. Eine Lehre für alle EU-Kommissare. (Thomas Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2010)