Wien - Viel wird sich nicht ändern in der Ukraine nach den Präsidentenwahlen, deren erster Durchgang am Sonntag stattfindet - außer dass es eine pragmatischere Linie gegenüber Russland geben wird, egal wer die Wahl gewinnt. Darin sind sich professionelle Beobachter einig, die am Mittwochabend in der Wiener Diplomatischen Akademie diskutierten.

Nach allgemeiner Erwartung wird die Entscheidung zwischen Regierungschefin Julia Timoschenko und Ex-Premier Wiktor Janukowitsch fallen. Amtsinhaber Wiktor Juschtschenko ist mit Umfragewerten unter fünf Prozent aus dem Rennen. Timoschenko habe eine Chance, wenn sie das zerstrittene Lager der orangen Revolution von 2004 mobilisieren könne, glaubt der Politologe Olexij Haran von der Universität Kiew-Mohyla-Akademie. Auf jeden Fall müssten die Hauptakteure nach der Wahl wieder Kompromisse eingehen. Daher werde es keine radikalen, sondern "evolutionäre" Reformen geben.

Seit der orangen Revolution gibt es in der Ukraine Meinungsfreiheit und im wesentlichen freie und faire Wahlen. Andererseits blockieren die politischen Lager einander, was die schwere Wirtschaftskrise noch verschärft hat. Volodymyr Kulyk von der ukrainischen Akademie der Wissenschaften spricht deshalb von einer "Demokratie ohne Demokraten".

Eine für sie bedenkliche Tendenz orten Haran wie Kulyk: wachsende EU-Skepsis, die sowohl von ukrainischen Politikern als auch von Russland ausgenützt werden könnte. Gewiss, die Ukraine habe die Chance einer schnelleren Annäherung an die EU selbst nicht wahrgenommen, räumt Haran ein. Aber die EU weigere sich ihrerseits, die Möglichkeit einer Mitgliedschaft überhaupt auszusprechen.

Ein klarer Fahrplan nach Brüssel wäre "ein Sieg für Europa, die Ukraine und die Demokratie", glaubt Kulyk, fürchtet aber, dass die beste Gelegenheit dafür bereits verpasst wurde. Jedenfalls sei es die falsche Priorität, wenn Europa nur an den ungehinderten Gastransit durch die Ukraine denke.

Auch Nico Lange, Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, kritisiert die EU dafür, ihre "transformatorische Macht" , etwa durch Visafreiheit unter bestimmten Voraussetzungen, nicht zu nutzen. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 15.1.2010)