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Foto: AP/Zak

Dieses "Hearing", ziemlich einzigartig unter den Regierungen in Europa, ist ein echter Stresstest für einen Politiker. Nur in den USA werden angehende Bundesminister (das sind EU-Kommissare de facto) im Kongress ähnlich "gegrillt" wie die künftigen Kommissare.

Ein echter Stresstest

Um einen kurzen Eindruck zu geben, wie das abläuft: Vom Platz des Angehörten aus sieht ein voller Saal viel größer, mächtiger und bedrückender aus, als man sich das bei der Übertragung via Bildschirm vorstellt. Das Verhör dauert drei sehr konzentrierte Stunden lang, in denen etwa 60 bis 70 Einzelfragen gestellt werden. Alles findet in aller Offenheit und Öffentlichkeit statt. Der Kandidat sitzt ganz allein an einem Schreibtisch, ohne Assistent oder Einsager. Er hat keine Zeit in Unterlagen zu schauen. Hinter seinem Rücken thront erhöht der Ausschussvorsitzende mit seinen Stellvertretern, der das Verfahren sehr strikt durchführt.

Vor dem Kandidaten tut sich das ansteigende Halbrund des Sitzungssaales wie ein Amphitheater auf. Er schaut auf gut 200 bis 300 Leute, Abgeordnete, Mitarbeiter, Journalisten, Techniker, dahinter die 22 Übersetzerkabinen. Je wichtiger das Dossier des Kandidaten ist, desto mehr EU-Abgeordnete aus mehreren Ausschüssen sind da - alles absolute Auskenner in ihren Spezialgebieten. Jederzeit kann ein Kandidat über eine spezifische Fachfrage "aufgeblattelt" werden. Der Kandidat weiß, dass jedes Wort, das er sagt, via Internet live in abertausende Büros weltweit übertragen wird. Jede kleine Peinlichkeit kann plötzlich riesenhaft groß werden. Ein Kameramann des Parlaments filmt ständig von ganz nahe.

Nach vierzehn Anhörungen in den ersten drei Tagen lässt sich vorläufig schon ganz gut abschätzen, wer die Stars und wer die großen Schwachpunkte der neuen EU-Kommission sein werden, bzw. warum. Für Hahn ergibt sich daraus ein kleiner Startvorteil. Er konnte inzwischen studieren, wie man sich am besten verhält, was man auf jeden Fall vermeiden sollte.

Die Superstars

Aus meiner Sicht lässt sich bisher sagen: Es gibt im Barroso-Team bisher zwei Superstars, die eine wirklich beeindruckende Vorstellung geliefert haben. Der spanische Kandidat für Wettbewerbspolitik Joaquín Almunia, ein Sozialist, der seit 2004 als Wirtschafts- und Währungskommissar gearbeitet hat. Und der Franzose Michel Barnier, Kandidat für Binnenmarkt und Finanzmarktkontrolle, Ex-Regionalkommissar, Ex-Außen-, Ex-Agrar-, Ex-Umwelt- und Ex-Europaminister in Paris, dzt. EU-Abgeordneter, ein Konservativer.

Beide sind "alte Hasen" in Europa, präsentierten sich als extrem souverän, nicht aus der Ruhe zu bringen, topfit in der Sache, bis ins Detail mit EU-Materien vertraut, jahrzehntelang gepflegt und geschliffen, vor allem aber als Politiker, die in wenigen Sätzen und ohne jede Angst das Wesentliche ihrer jeweiligen politischen Überzeugung erklären können. Leute mit Geschichte, die wissen, wovon sie reden.

In dieser Liga, zu der mit Einschränkungen auch die neue Justizkommissarin Viviane Reding zu zählen ist (sie trat bei Grundrechtsfragen überzeugend auf), wird Hahn kaum mitspielen können. Aber es wird sich im Vergleich zeigen, ob er die vergangen Wochen ausreichend genutzt hat, um sich mit dem Fach Regionalpolitik vertraut zu machen.

Franz Fischlers "gschluckte Krot"

Zu einem Star der Kommission gehört, dass er mehrere Sprachen, vor allem Englisch und Französisch, problemlos beherrscht. Reding und Almunia können das. Barnier ist ein Beispiel, dass die Muttersprache im Zweifel auch reicht. Man wird sehen, wie Hahn sich auf diesem Gebiet schlägt. Er hat angegeben, dass er ganz passabel Englisch spricht. im Zweifel sollte er besser deutsch reden. Alles wird übersetzt, das EU-Parlament ist diesbezüglich unschlagbar organisiert. Der später angesehene Agrarkommissar Franz Fischler wurde bei der Anhörung 1994 in Brüssel vom Fleck weg legendär mit dem Satz: "Wenn ma die Krot gschluckt hat, muaß ma dazu a stehn", nachdem er erklärt hatte, zur vereinbarten Agrarreform auch zu stehen. Den Übersetzern blieb da kurz die Luft weg, dann gab es ein wirklich vergnügliches Gelächter im Saal. Ein "Typ", höchst authentisch, ward damals geboren.

Neben den Stars gibt es die mittlere Gruppe. Dazu gehören nach bisherigem Stand der Tscheche Stefan Füle (Erweiterung), der Belgier Karel De Gucht (Außenhandel) oder auch Olli Rehn (Wirtschaft und Währung). Charismatisch sind sie nicht gerade, aber sie überzeugten dennoch durch gutes Fachwissen und dadurch, dass sie sich nicht scheuten, in den Grundpositionen eine klare Haltung zu demonstrieren. Das und klares Europabewusstsein wird von den Abgeordneten im Zweifel geschätzt, denn auch sie selber kommen ja aus bestimmten politischen Lagern. Hier könnte Hahn, wenn er es gut macht, eingereiht werden.

Feigheit lohnt sich nicht

Die Kandidaten der dritten Gruppe haben enttäuscht: Catherine Ashton, die neue EU-Außenministerin und Vizepräsidentin etwa. Menschlich überzeugend, schlagfertig, aber ohne inhaltliches Profil, ohne Strahlkraft, ohne klare Positionen redete sie sich durch die Anhörung. Dauernd sagte sie, darüber müsse sie sich noch ein Urteil bilden, mit diesem und jenen erst konsultieren, einerseits und andererseits. Oder der designierte Budgetkommissar Lewandowski aus Polen: Brav aber nicht viel mehr.

Die vierte Gruppe schließlich ist jene, in der Hahn besser nicht landen sollte, wenn er in Brüssel ankommen will: bei der Bulgarin Rumiana Jeleva, die humanitäre Hilfe betreuen soll, oder dem Litauer Agiras Semeta. Erstere zeigte sich in der Sache ziemlich unbeleckt, indem sie etwa den Golf von Aden geografisch offenbar nicht ganz zuordnen konnte, was bei einer Außenministerin irritierend war. Und Jeleva droht wegen ihrer Erklärungen zu persönlichen Besitzverhältnissen und merkwürdigen Geschäften, wegen Unklarheiten, ob sie dem EU-Verhaltenskodex entspricht, sogar die Wahl der gesamten Kommission zu gefährden. Möglicherweise zieht Barroso sie zurück. Semeta, ein Fachmann ohne Zweifel, trat auf als ängstliches Bündel, kaum zu irgendeiner klaren Position oder politischer Vision bereit - nicht wie einer, der als energischer Betrugsbekämpfer agieren wird.

Was ist also Hahns Chance, was sein Risiko?

Seine Chance besteht darin, dass er als Neuling auf EU-Ebene bei den Abgeordneten einen gewissen Bonus hat. Wenn er etwa in Einzelfragen zugibt, dass er mit etwas noch nicht vertraut ist, wird ihm das niemand übel nehmen. Sofern er glaubwürdig ist, sofern die Gesamtperformance stimmt, sofern auch das Einräumen einer Schwäche authentisch ist. Dafür haben EU-Mandatare ein feines Gespür.

Was sie hingegen überhaupt nicht leiden können ist, wenn jemand ihnen das Gefühl gibt, er nehme sie nicht ganz ernst, er könne es sich leisten, sich um die Fragen billig herumzuschummeln, wie Jeleva. In solchen Situationen kann ein Ausschuss gefährlich werden, wenn dann mehrere Abgeordnete sich an dem Kandidaten festsaugen. Diesbezüglich besteht bei Hahn ein gewisses Risiko. Er wirkt rasch überheblich, redet herum.