Bild nicht mehr verfügbar.

Das Archivbild von 1998 zeigt Miep Gies mit einem Exemplar ihres Buches "Anne Frank Remembered" in ihrer Wohnung in Amsterdam.

Foto: AP/Steve North

Amsterdam - Miep Gies, die aus Wien stammende Helferin des jüdischen Mädchens Anne Frank, ist im Alter von 100 Jahren in den Niederlanden gestorben. Gies hatte das weltweit bekanntgewordene Tagebuch des Holocaust-Opfers über den Aufenthalt ihrer Familie im Amsterdamer Versteck gerettet. Die Franks waren verraten worden, Anne starb kurz vor Kriegsende 1945 15-jährig im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Annes Vater Otto hatte nach dem Krieg das Tagebuch veröffentlicht.

Miep Gies wurde am 15. Februar 1909 in Wien als Hermine Santrouschitz geboren. Sie wuchs in armen Verhältnissen auf, weshalb sie im Rahmen eines Projektes zur Unterstützung unterernährter Kinder 1920 von ihren Eltern ins holländische Leiden geschickt und von ihrer dortigen Gastfamilie liebevoll aufgenommen wurde. Dort erhielt sie auch ihren Spitznamen "Miep".

Im Jahr 1922 zog sie mit ihrer Gastfamilie nach Amsterdam. 1933 wurde sie Sekretärin von Annes Vater, dem Geschäftsmann Otto Frank. Es entwickelte sich eine gute Freundschaft zu Otto Frank, seiner Frau Edith sowie den Töchtern Anne und Margot. 2009 wurde Gies anlässlich ihres 100. Geburtstages mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet, schon davor hatte die couragierte Frau zahlreiche Ehrungen bekommen.

Das Königreich der Niederlande wurde 1940 von deutschen Truppen besetzt. Gies war eine Gegnerin der Politik Adolf Hitlers und weigerte sich, Mitglied einer holländischen Nazi-Partei für Frauen zu werden. Deswegen wurde ihr österreichischer Personalausweis für ungültig erklärt und sie aufgefordert, nach Österreich zurückzugehen. Sie bemühte sich nun um die Ehe mit einem Holländer - ihre einzige Chance, als niederländische Staatsbürgerin im Lande zu bleiben - und heiratete Jan Gies im Juli 1941.

Hilfe beim Untertauchen

Als die Gefahr für die jüdische Bevölkerung auch in den Niederlanden zunahm, informierte Otto Frank Miep Gies über seine Pläne, mit der gesamten Familie unterzutauchen. Trotz der Gefahr, die auch für sie dadurch entstand, sagte sie ihm sofort ihre Hilfe zu. Am 5. Juli 1942 erhielt Margot Frank die Aufforderung, sich in einem Arbeitslager zu melden.

Otto Frank versteckte sich und seine Familie im Hinterhaus in der Prinsengracht 263, begleitet wurden sie von Miep Gies. Später stießen noch die Familie van Pels und Gies' Zahnarzt Fritz Pfeffer dazu. In den folgenden zwei Jahren half Miep Gies gemeinsam mit drei weiteren Helfenden den Familien Frank und van Pels sowie Fritz Pfeffer mit Lebensmitteln und Zeitungen, aber auch mit freundschaftlicher Zuneigung und Ermutigung.

Am 4. August 1944 wurden die Versteckten entdeckt und verhaftet. Miep Gies war ebenfalls anwesend, konnte aber einer Bestrafung dadurch entkommen, dass sie wie auch der Kommissar Karl Josef Silberbauer aus Wien stammte. Es war Zufall, dass der SS-Mann, der die Verhaftung der Franks überwachte, Österreicher war. Doch dieser Zufall dürfte geholfen haben, Anne Franks Tagebuch zu retten. "Sie war so ein nettes Ding", sagte Silberbauer nach dem Krieg Ermittlern zur Begründung dafür, dass er die junge Frau mit dem Wiener Dialekt, die er damals im Vorderhaus des Verstecks antraf, nicht weiter verhörte, sondern laufen ließ.

Bestechungsversuch

Einen späteren Bestechungsversuch wies der Polizist jedoch zurück, da er "nicht in der Position" sei, "dies entscheiden zu dürfen". Miep Gies betrat noch am Nachmittag nach der Verhaftung das Hinterhaus und rettete die übrig gebliebenen persönlichen Gegenstände der deportierten Familien, unter anderem auch die Tagebuchaufzeichnungen von Anne Frank. Diese übergab sie 1945 Otto Frank, der als einziger nach Amsterdam zurückkehrte.

Miep Gies lebte zuletzt in guter geistiger Verfassung in der Provinz Friesland. Sie war die letzte noch lebende Helferin, die Anne Frank persönlich kannte. Eine besondere Aufmerksamkeit empfand sie aber als unangebracht. "Ich war keine Heldin", sagte sie oft, wenn Menschen die Tapferkeit bewunderten, mit der sie einst die untergetauchte jüdische Familie Frank bei ständiger Lebensgefahr versorgte. "Mitmenschen in Not zu helfen, ist keine Frage des Mutes, sondern eine Wahl, die jeder Mensch in seinem Leben einmal treffen muss als Unterschied zwischen dem Guten und dem Bösen."

"Mit ihr ist die letzte Zeugin der Geschehnisse in dem Hinterhaus-Versteck von uns gegangen", sagte die Leiterin des Anne-Frank-Museums, Teresien da Silva. Fast bis zuletzt habe sie noch jeden Tag Briefe aus aller Welt gelesen und Fragen über ihre Beziehung zu Anne Frank, deren Eltern und Freunde sowie ihre Rolle als Helferin beantwortet. Miep Gies hinterlässt einen Sohn, eine Schwiegertochter und drei Enkelkinder.

Kondolenzbuch

Im Anne-Frank-Museum wurde ein Kondolenzbuch aufgelegt. Der S. Fischer Verlag in Deutschland äußerte seine Trauer "um diesen außergewöhnlichen Menschen". Miep Gies habe Leben bewahrt und ihr eigenes Leben riskiert - "und einen der wichtigsten Texte des Zwanzigsten Jahrhunderts für uns gerettet", hieß es. Im S. Fischer Verlag sind Anne Franks Tagebuch und Miep Gies' Erinnerungsband "Meine Zeit mit Anne Frank" erschienen. Es handle sich um "zwei Dokumente des gleichen Schreckens und der gemeinsamen Hoffnung", erklärte der Verlag. (red/APA)