Wien - Die wichtigste Messgröße für Makroökonomie, das Bruttoinlandsprodukt (BIP), hat schwere Mängel. Die EU-Kommission lässt seit Herbst Indikatoren diskutieren, denn es habe sich gezeigt, dass das BIP hinsichtlich Klimawandel, effizienter Ressourcennutzung oder sozialer Integration nicht aussagekräftig sei.

In der akademischen Welt läuft die Diskussion bereits. Der chilenische Ökonom Manfred Max-Neff etwa lehnt Wachstumsfetischismus à la BIP ab: "Wachstum ist nicht gleich Entwicklung", sagte er zum Standard. Im Rahmen seiner Thesen zur "Barfuß-Ökonomie", für die er den Alternativ-Nobelpreis erhielt, definierte er sogenannte Kipppunkte. Ab einem gewissen Punkt führe gewohntes BIP-Wachstum nicht mehr zu Wohlstandsgewinn, sondern zu Stress für Sozialsystem und Umwelt. Gleichzeitig bewerte das BIP Aktivitäten, etwa Umweltkatastrophen, als Plus für die Wirtschaft. In den meisten europäischen Ländern, so auch in Österreich, habe dieser "Kipp-Punkt" bereits in den 1980er-Jahren eingesetzt, so Max-Neff, der deshalb soziale und ökologische Faktoren mit einbezieht.

Ökologischer Fußabdruck

Mehrere Ansätze, bei denen Faktoren wie "nachhaltige Entwicklung", "schonender Ressourcenumgang" oder "Sozialwesen" in eine Wirtschaftswohlstandsrechnung einbezogen werden könnten, gibt es bereits, wenngleich sehr unterschiedliche. Die Uno-Entwicklungsorganisation UNDP setzt mit ihrem Human Development Index (HDI) BIP, Gesundheit und Bildung in Relation. Die OECD führt Messungen des gesellschaftlichen Fortschritts durch, bei dem andere Indikatoren (etwa: Lebenszufriedenheit kombiniert mit Lebensdauer) einfließen sollen. Die Messung des ökologischen Fußabdrucks, bei dem gemessen wird, wie viel Treibhausgase ein Mensch oder ein Produkt benötigen, ist eine andere Möglichkeit, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu messen. Laut Wifo-Expertin Angela Köppl sollte auch der Wasserverbrauch in eine Wirtschaftswachstumsrechnung einfließen.

Gerade in der Wirtschafts- und Finanzkrise habe sich gezeigt, dass das BIP, quasi der aggregierte Mehrwert aller auf Geld basierenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, nur eingeschränkt zielführend ist, warnt die EU-Kommission. Bis 2012 soll ein Ergänzungsmesswert für das BIP kreiert werden. Am 28./29. Jänner hält das Lebensministerium dazu einen Kongress in Wien ab. (ruz, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.01.2010)